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Im Schatten der Tosca

Im Schatten der Tosca

Titel: Im Schatten der Tosca
Autoren: Susanne Kaiser
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beherrschte, würde sich das automatisch einstellen.
    Offenbar machte sie Fortschritte. »Heute wollen wir eine Rolle durchgehen«, eröffnete Madame Krasnicova eines Tages die Unterrichtsstunde. Mariana strahlte, jetzt war er da, der ersehnte Augenblick. Ihre Lehrerin klappte bedeutungsvoll eine zerfledderte Partitur auf. ›Boris Godunov‹. Mariana wunderte sich, was für eine Rolle mochte es da wohl für sie geben, vielleicht den Zarewitsch. Das war ein Mezzosopran, und ihre Stimme hatte sich inzwischen in dieser Stimmlage eingependelt.
    Nein, es war die Amme. Eine echte Altpartie – und wahrlich keine Rolle, von der man als sangesbesessenes junges Mädchen träumte.
    »Die Amme, ja aber . . .«, stammelte Mariana fassungslos.
    »Ja, vielleicht ist die Partie zu groß für dich, dann nehmen wir die Schankwirtin durch«, schnitt ihr Madame Krasnicova streng das Wort ab. »Spielalt, kleine Rolle.«
    An diesem Tag gab es an Marianas Gesang nichts zu bekritteln, die Enttäuschung schnürte ihr ganz von selbst die Kehle zu. Was für ein Einstand in die Karriere einer Sängerin! Erst sehr viel später erfuhr Mariana durch Zufall, dass sich Madame Krasnicova mit diesen beiden Rollen auf irgendwelchen Provinzbühnen jahrelang über Wasser gehalten hatte.
    Jetzt aber würgte Mariana an den paar Tönen der Schankwirtin herum, und bald kam auch wieder der Schlachtruf: »Pressen, du musst pressen!«
    Und Mariana presste und drückte, sie staute die Töne, die Luft, vor Anstrengung quollen ihr die Augen heraus. Sie war von Kopf bis Fuß verkrampft und verspannt. Ihre Stimme fing an zu tremolieren oder sank in den Keller.
    Aber dass irgendetwas an der Unterrichtsmethode von Madame Krasnicova nicht richtig sein könnte, auf diese Idee kam sie nicht. Sie gab sich ganz allein die Schuld, dass sie mit dem Singen kaum Fortschritte machte – wenn man ehrlich sein wollte, waren es eher Rückschritte. Doch das lag wahrscheinlich nur an ihr, an ihrer Ungeschicklichkeit, ihrer Unbegabtheit, wer weiß. Lediglich das Lob, mit dem Madame Krasnicova genauso temperamentvoll um sich warf wie mit ihrem Tadel, hinderte Mariana daran, gänzlich zu verzagen. »Was für ein fleißiges Mäuslein! Mein Herzenstäubchen, bravo, die alte Leonie ist stolz auf dich!«, so konnte sie jauchzen und Mariana dabei an ihren gepanzerten Busen drücken und sie abschmatzen. Und dann schimpfte sie wieder nach Herzenslust – aus Fürsorge und Eifer, sicherlich. Sogar zusätzliche Unterrichtsstunden bot sie Mariana an. Wann setzte sich ein Lehrer so für seinen Schüler ein?
    Schließlich, nach einem guten Jahr, trugen Marianas Bemühungen doch Früchte: Eines Tages hatte sie kaum mehr eine Stimme. Zuerst dachte Mariana noch an Erkältung, abersie hatte keinen Husten, keinen Schnupfen, kein Fieber. Sie war einfach stockheiser.
    »Was ist los mit deiner Stimme?«, fragte die Mutter besorgt.
    »Ich weiß es nicht«, wollte Mariana sagen, aber sie brachte nur ein kümmerliches Krächzen heraus.
    Birgit hatte sich schon längst Sorgen gemacht, auch Vorwürfe. Nach den Unterrichtsstunden wirkte Mariana oft angespannt und erschöpft zugleich, was weder zu ihr selbst noch zum Singen passte, normalerweise wurde man dadurch frisch und vergnügt. Fragen wich sie aus. Aber Birgit wusste aus eigener Erfahrung, wie merkwürdig eng Gesangsschüler meist mit ihren Lehrern verbunden waren – ja sein mussten. Anscheinend fand da ein bedingungsloses sich Ausliefern statt. Hier mit Ratschlägen aufzuwarten, hatte genauso wenig Sinn, wie einem verliebten Paar klarmachen zu wollen, es passe nicht zueinander. Zudem hatte ihr Mann sie ständig beschwichtigt: »Misch dich bloß nicht ein, du hast keine Ahnung, wie empfindlich Russinnen sind!«
    Doch jetzt das schaurige Krächzen der Tochter! Zum ersten Mal im Leben geriet Birgit vollkommen aus der Fassung.
    »Diese Schreckschraube, dieser aufgetakelte Zirkusgaul«, schrie und schluchzte sie, »hat das Glück meiner Tochter zerstört. Ich erwürge sie, wenn sie noch einmal über unsere Schwelle kommt. Schluss, aus, raus mit ihr, wenn du nicht den Mut hast und sie rausschmeißt, ich tu es mit Vergnügen!« Sie schnappte kurz nach Luft, dann setzte sie nach: »Ha, und das ist der Gipfel. Russinnen sind ja so empfindlich! Und die Schwedinnen? Die sind schwachsinnig: Die lassen sich die schönen Stimmen ihrer Töchter kaputtmachen – und zahlen noch dafür. Aber jetzt reicht es. Vielen Dank, habe die Ehre!«
    So glühend, so schwungvoll,
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