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Im Schatten der Tosca

Im Schatten der Tosca

Titel: Im Schatten der Tosca
Autoren: Susanne Kaiser
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so hinreißend hatte Nicolai seine Frau noch nie erlebt.
    »Was für ein Temperament«, rief er aus und sank vor ihrauf die Knie. »Ein Jammer, dass du mich alten Langweiler geheiratet hast. Du gehörst auf die Bühne!«
    »Ja, mach dich nur lustig über mich«, empörte sich seine Frau.
    Nicolai wurde pathetisch: »Ich meine es ernst. Und das verspreche ich dir: Madame Krasnicova ist aus unserem Leben bereits verschwunden!«

    Am liebsten hätten sich Mutter und Tochter reumütig vor Professor Wettergren im Staub gewälzt und ihn um Hilfe angefleht. Aber das ging nicht, sie schämten sich zu sehr, hatten sie ihn doch schnöde verlassen, hintergangen, mit fadenscheinigen Ausreden, plumpen Lügen. Und der momentane Zustand von Marianas Stimme war wirklich gar zu blamabel. Mariana schämte und grämte sich darüber dermaßen, dass sie ein paar Wochen lang den Mund kaum mehr auftat. Was ihrer Stimme hervorragend bekam. Durch das erzwungene Schweigen erholte sie sich rasch, bald klang sie wieder rund und gesund.
    Die falsche Technik ließ sich nicht so einfach beheben. Im Grunde hatte Mariana vom Singen nun keine Ahnung mehr, sie war vollkommen durcheinander. Alleine, ohne Anleitung, würde sie aus dieser verkorksten Situation nicht herausfinden. Auch die Mutter konnte ihr nicht helfen. Marianas Not ging ihr zu nahe. Zwar hatte sie selbst Gesang studiert, aber nie unterrichtet. Die Verantwortung erschien ihr zu groß.
    Nun gab es unter den russischen Damen eine weitere Gesangslehrerin, das genaue Gegenteil von Madame Krasnicova, klein, zierlich, überaus vornehm. Und zudem tatsächlich eine ehemals erfolgreiche Künstlerin. Doch als Nicolai auf Frau Gregorija zu sprechen kam, stöhnte Birgit nur auf.
    »Oh Gott, nicht schon wieder eine Russin!«
    »Professorin am Petersburger Konservatorium«, gab Nicolai zu bedenken, »fragen wir sie doch wenigstens.«
    Aber Frau Gregorija zierte sich zunächst: »Anfänger unterrichte ich grundsätzlich nicht.«
    Darüber ereiferte sich die eben noch misstrauische Birgit: »Hören Sie sich meine Tochter doch erst einmal an.«
    Schließlich einigte man sich auf eine Probezeit.
    »Das ist ja fürchterlich, eine Katastrophe«, war auch hier das Erste, was Mariana zu hören bekam. »Wie heißt diese Person? Krasnicova, sagst du, nie gehört. Du lieber Himmel, alles falsch, alles. Ob ich das jemals ausbügeln kann, was diese Ignorantin angerichtet hat! Lange wird das brauchen, lange. Dieses Geknödel und Gequetsche, wo um Gottes willen glaubst du, dass ein Ton entsteht? Doch nicht hinten im Hals. Von der Maske des Sängers, der Maske, davon hast du wohl noch nie etwas gehört«, bemerkte Madame Gregorija mit spitzem Mündchen.
    Als erste Maßnahme musste Mariana nun wochenlang nicht enden wollende Übungen auf die Vokale singen. Madame Gregorija jagte sie über Tonleitern, Triller, Quarten, Quinten, aaa, eee, iii, ooo, uuu, ao, ua, ei, hinauf und hinunter, dabei stach sie mit ihren dürren Fingern erstaunlich kraftvoll auf den Flügel ein, Mariana kam nur mit voller Lautstärke gegen das Getöse an. Dazwischen, selten genug, gab es halsbrecherische kleine Texte mit vielen M und N. All das diente der Stärkung der Kopfstimme.
    Doch noch ein weiteres Spezialtraining stand an: Mariana, so befand Madame Gregorija, sei ein verkappter Sopran, »meine magischen Antennen täuschen sich nie«. Also versuchte sie, die Stimme mit forcierten Übungen um das hohe C hochzuschrauben. Selbst als Mariana der Hals kratzte und sie wieder heiser wurde, musste sie weitersingen, über Stock und Stein. Denn wenn sie sich auch nur ein einziges Mal vertat, fing Madame Gregorija an zu lamentieren: »Weißt du eigentlich, wen du vor dir hast?« Und dann folgte eine ausführliche Aufzählung aller Opernhäuser, Rollen, Dirigenten, in und unter denen sie gesungen hatte. »Verehrt, bewundert auf der ganzen Welt, und jetzt plage ich mich mit dir ab, glaubst du, ich habe das nötig?«, damit pflegten diese Ausführungen zuenden, zugleich meist auch die Unterrichtsstunde. Auf Tee, geschweige denn Kuchen, legte die Künstlerin keinen Wert, dafür kassierte sie das vierfache Honorar wie Madame Krasnicova, bar auf die Hand, sofort nach der Stunde.
    Madame Krasnicova hatte es fertiggebracht, dass Mariana irgendwann keine Stimme mehr hatte. Nach ein paar Monaten Unterricht bei ihrer neuen Lehrerin besaß sie deren zwei, eine Kopfstimme und eine Bruststimme. Jede für sich funktionierte, miteinander zu tun hatten sie nichts.
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