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Im Schatten der Tosca

Im Schatten der Tosca

Titel: Im Schatten der Tosca
Autoren: Susanne Kaiser
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allenfalls Klavierspielen lernen. Um eines Tages den Begleiter der Mutter zu verjagen, dessen allzu ausdrucksstarkes Geklimper ihr auch jetzt noch missfiel.
    Mariana erwies sich als recht geschickt, sie hatte guten Grund, fleißig zu sein – sie war ganz einfach musikalisch. Als sie bei einem Hauskonzert zum ersten Mal die Mutter bei ein paar kleinen Liedern begleiten durfte, war Birgit vor Aufregung ganz heiser. Mariana jedoch funkelte mit gerunzelten Brauen zu dem in der ersten Reihe sitzenden Konkurrenten hinüber, dann griff sie mutig in die Tasten. Das Publikum war entzückt, am meisten der Pianist, der sich sogleich erbot, Mariana Klavierunterricht zu geben. »Hast du denn gar kein Lampenfieber gehabt?«, wurde sie gefragt. Sie begriff nicht so recht, was die Leute damit meinten. Ihr hatte der Auftritt gefallen, nur zu kurz war er gewesen.
    Mariana konnte so schnell nichts aus der Ruhe bringen.Das hatte sich bereits bei der Geburt eines kleinen Bruders gezeigt. Allerdings hatten ihr die Eltern schon vorher erklärt, dass bald ein Geschwisterchen käme, wie sehr sie sich darauf freuten, besonders für Mariana, sie sei dann nicht mehr so allein. »Natürlich musst du der Mama viel helfen, du bist ja schon ein großes Mädchen«, hatte der Vater noch gesagt. Das hatte ihr am meisten eingeleuchtet. Mit ihren fünf Jahren, so fand sie, gehörte sie schon fast zu den Erwachsenen. Der kleine Bruder hingegen erschien ihr doch eher überflüssig. Sie hatte sich schon nicht viel aus Puppen gemacht, mit diesem greinenden Wurm ließ sich noch weniger anfangen. Dennoch war sie bei der Betreuung des Kleinen eine durchaus zuverlässige, etwas gönnerhafte Hilfe.
    Das ganz große Ereignis in Marianas Kinderleben war eine Reise nach Russland. Ein schneeweißes Schiff trug die Familie von Stockholm nach Sankt Petersburg. Die Eltern bewohnten eine luxuriöse Kabine mit Fenstern, Badezimmer und Doppelbett, daneben, durch eine Türe verbunden, lag die gemütliche Kabine der Kinder, mit einem Bullauge und Etagenbetten.
    Wer wollte, ob groß oder klein, konnte ständig etwas unternehmen, in Spielsalons, Sporthallen, Tanzpavillons, wer lieber nichts tat, ließ sich auf Liegestühlen in feine Decken hüllen, um zu lesen, zu schlafen, in die Luft oder aufs Wasser zu schauen, umsorgt von beflissenen Kellnern in schicken Uniformen. Schon zum Frühstück gab es so viel zu essen, dass man den ganzen Tag satt war. Darum beschloss die Mutter schon am zweiten Tag, mit den Kindern das Mittagessen zu überspringen und dafür lieber am Nachmittag in Eisbechern und Sahnetörtchen zu schwelgen. Hierzu gesellte sich auch der Vater, beschwingt, mit vom Champagner geröteten Backen.
    Eine Hauptbeschäftigung aller Passagiere, auch der Kinder, war das ständige Umkleiden. Zum Frühstück trug man etwas anderes als im Liegestuhl, unmöglich konnte man Bridge im gleichen Gewand spielen wie Shuffleboard. Mariana war sehr stolz auf ihre rüschenbesetzten Kleider, ihre feinen Lackschuhe,den breitkrempigen Organzahut, den Strohhut mit den Flatterbändern. Auch der kleine Bruder in seinen feschen Matrosenanzügen gefiel ihr. Als er für seine Matrosenmütze ein dunkelblaues Band mit dem Namenszug des Schiffes »S.M. Tsar Alexander« bekam, musste auch Marianas Strohhut mit einem solchen Band geschmückt werden.
    Am Abend assistierten die Kinder staunend den Eltern beim großen Ankleidezeremoniell für das Dinner. Der riesige Schrankkoffer offenbarte seine Schätze, die er in Fächern und Schubladen verborgen hielt. Dann ging es um schwerwiegende Entscheidungen: zur großen Kette noch die Ohrringe? Lack- oder Lederschuhe? Diesen Gürtel oder jenen? »Sich schönmachen«, das war nichts, was sich hinschludern ließ. Es war Arbeit, eine ernsthafte, aber auch lustvolle Arbeit. Oder eben Kunst. Das prägte sich beiden Kindern fürs Leben ein.
    Am vorletzten Tag der Reise las die Mutter in der Bordzeitung: »Five o’clock tea im Grünen Salon: Tamara Karamasova und das Tanzorchester Charly Kekoonen. Die Künstlerin singt Lieder aus ihrer kirgisischen Heimat. Und vieles mehr.« – »Nie gehört, klingt exotisch, da gehen wir hin«, sagte der Vater. Zunächst schrammelte das Orchester die üblichen Schlager. Dann jedoch spielte es einen Tusch, der Dirigent verbeugte sich, gleichzeitig ging die Türe auf, und eine üppige Dame betrat das Podium. Der gewaltige Busen war in ein violettes Mieder gezwängt wie in eine samtene Brünne, der blaugrün schillernde Taftrock
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