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Im Schatten der Tosca

Im Schatten der Tosca

Titel: Im Schatten der Tosca
Autoren: Susanne Kaiser
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Stimme klang höher.
    So stellte die Russlandreise sachte die Weichen in Marianas Leben. Und ein paar Dinge traten ans Licht: Mariana reiste leidenschaftlich gern, weil sie neugierig war, und Schiffsreisen waren besonders schön. Auf Reisen sah und erlebte man viel – fremde Landschaften, Pflanzen, Tiere. Und Menschen. Und noch etwas hatte sich durch die Reise ergeben: Plötzlich schwärmte Mariana für alles Russische, und in Tamara Karamasova sah sie ihr neues Ideal.

    Doch zunächst einmal verlief alles ganz friedlich. In der Schule lernte Mariana Französisch und später auch Englisch. Die eine Lehrerin, eine ältliche Französin, ließ die Kinder parlieren, so viel sie wollten, die andere, eine junge, magenkranke Schwedin, quälte sie ausschließlich mit Grammatik, woraufhin die ganze Klasse Englisch hasste. Mit dem Vater sprach Mariana gern Russisch, worüber sich der kleine Bruder ärgerte, weil er nur wenig verstand.
    Dann, nach der Konfirmation, erhielt sie endlich Gesangsunterricht, einmal in der Woche bei Professor Wettergren, dem alten Lehrer ihrer Mutter. Der hätte lieber noch eine Weile gewartet, aber weil er Marianas Eifer nicht verpuffen lassen wollte, ließ er sie Lieder und leichte Technikübungen singen.
    »Sollen wir deine Gesangsstimme ruinieren, bevor du überhaupt eine hast?«, fragte er. »Noch wissen wir nicht einmal, ob du eine Nachtigall wirst oder ein Frosch, wobei gegen dessen Atemtechnik und stimmliche Durchschlagskraft wahrlich nichts einzuwenden ist.« Professor Wettergren achtete darauf, dass Mariana sich mit dem Inhalt der Lieder gründlich auseinandersetzte. »Auch bei Übersetzungen musst du haargenau wissen, Wort für Wort, was da gesagt wird. Glaub bloß nicht, dass der Text nicht wichtig ist, das tun nur dumme Sänger. Im Übrigen musst du bald Italienisch lernen, das ist die Grundlage des Gesangs. Und Deutsch. Denn, wie ich dich und deine Stimme einschätze, wirst du auch Wagner und Strauss singen.«
    In der Opernliteratur kannte sich Mariana schon ganz gut aus. Auch das verdankte sie ihrem Lehrer, denn er hatte schon vor Jahren den Eltern geraten, die Tochter in die Oper mitzunehmen. Mittlerweile hatte sie eine ganze Reihe von Opern gesehen. Und vor allem: Sie hatte den Sängerinnen und Sängern gut zugehört, nicht nur mit den Ohren, auch mit dem Herzen, und ihnen dabei das Geheimnis abgelauscht, worauf es beim Singen wirklich ankam. Dieses heimliche Wissen, das ihr Verstand zunächst gar nicht wahrnahm, sollte bewirken, dass sie später nicht Schiffbruch erlitt, trotz widriger Winde.
    Bevor es so weit kam, brach der erste Weltkrieg aus. Zuvor hatte die Familie wiederholt weitere Russlandreisen geplant, doch ständig war etwas dazwischengekommen. Jetzt war es damit sowieso zu Ende. Dafür tauchten immer mehr russische Verwandte und Freunde in Schweden auf. Schließlich tummelten sich überall russische Adlige, Gutsbesitzer, Bürger, Künstler, die gerade noch höchst angenehm gelebt und nie gearbeitet hatten. Nun besaßen viele von ihnen kaum mehr als ihr Leben und ein paar Habseligkeiten, Schmuckstücke, Teppiche, Bilder, was man auf der Flucht hatte mitnehmen können. Die wenigsten verloren darüber ihre gute Laune, geschweige denn ihre Haltung. Irgendwie schlug und schnorrte man sich durch. So gut wie niemand hatte einen Beruf erlernt. Aber man besaß gute Manieren, sprach Französisch, konnte Klavierspielen, Reiten, Sticken, Autofahren, Jagen, Tanzen, Singen. Also gab man Privatunterricht. Es galt nur noch, die reichen Schweden von der Notwendigkeit eines solchen zu überzeugen.
    Das bescherte Mariana eine neue Gesangslehrerin.
    »Sie ist eine Kusine meines Vetters dritten Grades. Sie stammt aus Kasachstan, soweit ich weiß, dort war sie eine erfolgreiche Gesangspädagogin, sie hat eine Reihe berühmter Schüler, dass ich die Namen nicht kenne, besagt wirklich nichts. Wir müssen ihr helfen. Und für Mariana ist es eine Chance. Sie ist fast sechzehn und sollte nicht länger ihre Zeitverplempern. Was hat sie denn bis jetzt bei Professor Wettergren gelernt?« So redete sich der Vater seiner Frau gegenüber in Schwung, bis die widerwillig und ohne Überzeugung nachgab.
    Mariana hatte manchmal über den zögerlichen Unterricht gemurrt, aber jetzt hatte sie doch Sorge, ihren lieben alten Lehrer zu kränken. Dann aber erschien Madame Krasnicova.
    »Die Gräfin lassen Sie weg, unnütze Titel, nichts für heimatloses Gesindel«, trompetete sie den Gastgebern entgegen.
    Mariana
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