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Im Schatten der Tosca

Im Schatten der Tosca

Titel: Im Schatten der Tosca
Autoren: Susanne Kaiser
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schlug das Herz bis in den Hals: Diese bombastische Dame ähnelte der verehrten Tamara Karamasova wie eine Zwillingsschwester. Raumfüllend, hoheitsvoll, laut. Mariana war hingerissen. Diese Wunderfrau würde sie endlich einführen in die Weihen des hohen Gesangs, das spürte sie.
    »Um Gottes willen, was hat man dir eigentlich bisher beigebracht?« Das war das Erste, was Mariana zu hören bekam. »Zwei Jahre, sagst du, das ist grauenhaft, eine Katastrophe. Alles falsch, alles. Wir werden lange brauchen, um auszubügeln, was dieser Professor angerichtet hat. Zum Glück bist du noch jung, aber ohne mich, ohne Leonie Krasnicova, wärst du verloren. Diese Piepsstimme, nichts ist da, womit schnaufst du eigentlich?«
    Mariana war bestürzt, fast kamen ihr die Tränen. War alles zu Ende, noch ehe es angefangen hatte? Hätte sie nicht selbst etwas merken müssen? Dahin also führte blindes Vertrauen!
    »Jetzt machst du nur noch, was ich dir sage. Und du sprichst mit keinem Menschen darüber. Meine Methode ist mein Geheimnis. Mein Kapital. Dafür würden viele wer weiß was geben. Geh ja nicht noch einmal zu deinem alten Lehrer, das verbiete ich dir. Ein ahnungsloser Zerstörer ist das. Wenn er merkt, dass du ihm auf die Schliche gekommen bist, wird er sich rechtfertigen wollen.«
    Nach dieser Tirade nestelte Madame Krasnicova aus einem Brusttäschchen eine zierliche Taschenuhr an einer langen Kette hervor.
    »Du liebe Güte«, rief sie aus, »die Stunde ist längst vorüber. Ich werde es nie lernen. Aber so bin ich eben, immer denke ich nur an die anderen, nie an mich!« Dann wechselte sie plötzlich den Ton und sagte vergnügt: »So, mein Kind, deine liebe Mutter hat uns sicher einen schönen Tee zubereitet. Hoffentlich gibt es süßes Gebäck. Ich habe einen Bärenhunger.«
    »Jetzt wollen wir Atmen lernen«, verkündete Madame Krasnicova in der nächsten Stunde. »Zeig mir mal, wie du das bei deinem Professor gemacht hast.« Mariana ahnte, dass sicherlich alles falsch war, zaghaft holte sie Luft, ihre neue Lehrerin unterbrach sie auf der Stelle: »Ich sehe nichts, ich höre nichts, was ist los mit deinem Brustkorb, deinem Bauch, hast du keinen? Hier, fass mal bei mir an!«
    Sie packte Marianas Hände und presste sie sich rechts und links an ihre Rippen. Dann schnaubte sie laut und pumpte in Bauch und Brustkorb Luft, Mariana spürte es deutlich durch das harte Fischbeinkorsett hindurch. Sie erinnerte sich an Tamara Karamasova. Hatte die nicht auch so Luft geholt? Also war es richtig.
    Anschließend musste Mariana alles nachmachen, sie schnappte und schnaufte, schließlich wurde ihr schwarz vor den Augen.
    »Mir ist schwindlig«, flüsterte sie und wäre fast umgefallen. »Ha, alte russische Schule, endlich hast du einmal richtig Luft geholt.« Nach ein paar weiteren Stunden taten Mariana die Rippen weh, sie hatte keine Ahnung, wohin sie die viele angestaute Luft lenken sollte. Aber Madame Krasnicova war zufrieden. »So, jetzt kümmern wir uns mal um deine Stimme.«
    Das wenige, was ihr Professor Wettergren bisher eingeschärft hatte, war gewesen: Raus aus dem Hals. Nach vorne. Denk nach oben, zwischen die Augen.
    »So ein Quatsch«, empörte sich Madame Krasnicova. »Hast du da vielleicht Stimmbänder? Na also. Die Stimme besitzt ein Organ, die Kehle. Hier, hör selbst.« Damit spitzte sie dieLippen und ließ ein dürftiges, hohes Tönchen entweichen. Darauf pumpte sie Luft in gewohnter Weise, und ein gutturales Röhren entströmte Brust und Kehle.
    So viel Mühe sich Mariana in der folgenden Zeit auch gab, gelegentlich setzte sie den Ton eben doch noch vorne an, so wie es ihr Professor Wettergren geduldig beigebracht hatte. Und schon höhnte ihre Lehrerin: »Jetzt piepst sie wieder, piep, piep, piep. Nach hinten, zum Donnerwetter! So, und jetzt Druck. Nur so erzeugst du einen vollen Ton.« Weil Mariana offenbar immer noch nicht begriff, stürzte Madame Krasnicova auf sie los, griff nach ihrer Gurgel und drückte mit beiden Händen ihren Kehlkopf nach unten. Mariana konnte tagelang kaum schlucken.
    Schließlich waren ihre Stimmbänder so überanstrengt, dass der Ton ganz von selbst in den hintersten Winkel der Kehle rutschte, manchmal sackte er einfach ab, sie konnte es nicht mehr kontrollieren. Oft sang sie schlichtweg zu tief, einen halben Ton, so schien ihr, eigentlich war es unüberhörbar. Aber Madame Krasnicova verlor kein Wort darüber. Dann war es wohl nicht wichtig, sagte sich Mariana. Sobald sie die Technik
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