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Im Schatten der Tosca

Im Schatten der Tosca

Titel: Im Schatten der Tosca
Autoren: Susanne Kaiser
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tun, einige Fächer wurden einzeln unterrichtet, einheitliche Klassen gab es nicht.Zudem eilten außer den Sängern noch andere Studenten durch die langen, kahlen Gänge, Pianisten, Streicher, Bläser, Komponisten, Choristen, Kirchenmusiker. Mariana versuchte aus dem äußeren Erscheinungsbild das Fach zu erraten. Bei den Kirchenmusikern lag die Trefferquote am höchsten.
    Am meisten Allüre zeigten die Sänger. Sie gingen offen auf andere zu, schauten ihr Gegenüber mit wachen Augen an, sie nuschelten nicht, jeder konnte weithin verstehen, was immer sie zu sagen hatten. Sie fühlten sich wohl in ihrem Körper – sie waren lebendig. Einem missachteten Leib konnte kein voller, strahlender Ton entströmen.
    Das Gehabe mancher Sänger wirkte allerdings erst einmal aufgeblasen und dumm. Sie gefielen sich in irgendwelchen Posen: der affige Angeber, der tiefsinnige Kauz, die zickige Primadonna. Zum Glück gab es die Abschlussfeste. Da lernte man sich besser kennen, und bald stellte sich heraus: Wenn es ans Singen ging, schwanden die Albernheiten dahin, im Eifer des Gefechts wurden die Posen vergessen.
    Auch die Studentenaufführungen hatten erfreuliche Auswirkungen. Als Publikum erschienen dazu Verwandte, Freunde, aber auch Fachleute, Chorleiter, Theatermenschen, Dirigenten. Mariana wurde schon bald gefragt, ob sie nicht bei Messen, Passionen, bei Kirchenkonzerten als Solistin mitwirken könne. Die Bezahlung war kläglich.
    »Ach was«, sagte Professor Wettergren, »Kleinvieh macht auch Mist. Wenn du fleißig bist, kannst du deine Mutter und mich mal zum Essen ausführen.« Er war begeistert. »Die Erfahrungen, die du da sammelst, sind unbezahlbar. Als Oratorien-Jule, wie so viele Mezzos, wirst du dein Leben nicht fristen müssen. Welch herrliche Musik lernst du dadurch kennen, allein schon die Altpartie aus dem Verdi-Requiem, gibt es was Schöneres?«
    Es war fast unheimlich, wie glatt die Studienzeit verlief, aber Mariana war auch sehr, sehr fleißig. Und wirklich begabt, nicht nur beim Singen. Fremdsprachen machten ihr keineMühe, am Klavier war sie beliebt als einfühlsame Begleiterin. Sie spielte tollkühn vom Blatt, mit Vorliebe Opern, denn auf diese Weise lernte sie nicht nur ihre eigene Partie kennen, sondern auch den ganzen musikalischen Zusammenhang. Einzig die Kompositionslehre betrieb sie mit mäßigem Eifer, sie war ihr zu theoretisch und sie spürte, dass sie über ein beflissenes Mittelmaß nie hinauskommen würde – so ziemlich das Trostloseste, was sie sich vorstellen konnte.
    Die Erfolge beim Studium hatten sie auf gute Weise selbstbewusst gemacht. Sie war jetzt viel sicherer als noch vor zwei Jahren, sie wusste, was sie konnte und was nicht, ihr Anspruch war hoch, an sich selbst, aber auch an die anderen. Vor allem spürte sie inzwischen sehr deutlich, was ihr guttat, ihrer Stimme, ihrem Körper, ihrer Verfassung, und was nicht.
    Im Nachhinein war sie geradezu froh über die beiden russischen Katastrophen. Seinerzeit hatte sie ihrer Mutter Vorwürfe gemacht: »Warum hast du mich nicht gewarnt, du hast doch gemerkt, wie miserabel es mir ging. Warum hast du diese Weiber nicht zum Teufel gejagt?« Damals hatte die Mutter geantwortet: »Was hätte ich dir sagen sollen? Du hättest mir doch nicht geglaubt. Ein paar Bemerkungen habe ich riskiert, aber du warst ganz blind und taub vor lauter Hingabe an diese Wunderwesen. Aber dein Retter stand ja schon bereit. Ich glaube, dir macht von jetzt an kein Mensch mehr weis, etwas sei nur so ›richtig‹ und nicht anders, solange dein eigenes Gefühl dagegen spricht.«

    Zu Hause führte Mariana ein bequemes Leben. Man ließ sie in Ruhe, sie hatte keine Pflichten, wenn sie ausnahmsweise einmal einen Handgriff tun wollte, zum Beispiel einen heruntergerissenen Saum wieder hochnähen, kam die Mutter und sagte: »Ach lass doch, du bist fleißig genug.« Dass Marianas Mutter so viel Verständnis zeigte, lag sicher auch daran, dass sie selbst Sängerin hatte werden wollen und jetzt die Tochter, ihr so auffallend begabtes Kind, nach Kräften unterstützte.
    Auch die russischen Großeltern sorgten für eine etwas lockerere Lebensart. Sie hatten auf dringendes Anraten ihres Sohnes noch rechtzeitig ihr Haus in Sankt Petersburg verkauft und waren in einen Vorort von Stockholm gezogen, in eine große Villa, die alsbald vollgepfropft war mit Elchgeweihen, Teppichen, Ahnenbildern und Ikonen, mit präparierten Auerhähnen, einem ausgestopften Bären, der in seinen Pranken ein
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