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Im Schatten der Tosca

Im Schatten der Tosca

Titel: Im Schatten der Tosca
Autoren: Susanne Kaiser
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Silbertablett hielt, mottenzerfressenen Wolfsfellen, Samowars, ausladenden Kandelabern mit tropfenden Wachskerzen.
    Bald platzte das Haus vollends aus allen Nähten, denn im Laufe der kommenden Jahre trafen aus allen Ecken des riesigen Russland immer neue Verwandte ein, Tanten, Onkel, Vettern, Basen ersten, zweiten, dritten, vierten Grades. Einige von ihnen wanderten weiter nach Paris und Berlin. Sie waren aus ihrem behäbigen Nichtstun herausgeschleudert worden und tummelten sich nun in aufregenden, nicht immer ganz seriösen Branchen. Jeder Erfolg wurde nach Stockholm vermeldet, und alle waren stolz, auch Mariana.
    Viele von ihnen blieben in Schweden hängen. Marianas Familie war bisher überschaubar klein gewesen. Wenn jetzt die Eltern mit den Kindern bei den russischen Großeltern vorbeischauten, schnatterte, zwitscherte und zeterte es bei denen wie in einer Voliere. Sie hielten ihr Haus offen für alle, ihr Leben lang. Das war mehr als großzügige Gastfreundschaft, das war herzliche Menschenfreundlichkeit.
    Ihr Vater hatte diese geerbt, auch ihre Mutter besaß diese wunderbare Eigenschaft. Die Eltern hatten sofort Astrid und Erna, Marianas neue Freundinnen, unter ihre Fittiche genommen. Die waren von auswärts gekommen, mit wenig Geld und ohne einen Menschen zu kennen. Inzwischen gehörten sie zur Familie. Und die elterlichen Hauskonzerte waren sowieso stadtbekannt. In keinem anderen Haus wurde besser und anspruchsvoller musiziert – und anschließend üppiger geschlemmt und gefeiert. Allein an taufrischem Kaviar, denHerr Pilovski auch nach der Revolution aus dunklen Kanälen bezog, waren im Laufe der Jahre sicherlich mehrere Fässer verzehrt worden.

    Nach drei Jahren hatte Mariana die Musikschule beendet. Ohne auch nur vorsingen zu müssen, wurde sie in die Opernschule übernommen. Und nach deren Abschluss boten ihr zwei Opernhäuser ein Engagement an: Stockholm und Göteborg. Mariana entschloss sich für Göteborg.
    Vielleicht war es verrückt, ein Angebot der Stockholmer Oper auszuschlagen. Aber Mariana fühlte deutlich, dass sie erst einmal versuchen musste, auf eigenen Füßen zu stehen. Dazu musste sie von zu Hause weggehen, es half alles nichts. Gewiss, sie hätte eine eigene Wohnung nehmen können. Ja und dann? Dann würde sie ständig zu den Eltern laufen, und nichts hätte sich wirklich geändert. Auch die Eltern sahen es ein, Birgit brachte die Situation auf den Punkt: »Andere junge Leute fliehen aus der Familie, weil sie sich nicht mit ihr vertragen, du solltest gehen, weil wir uns zu gut verstehen.«
    Aber auch aus Stockholm musste sie herauskommen. Außer Sankt Petersburg kannte Mariana bisher nur ihre Heimatstadt. Ein vorsichtiger erster Schritt vor die Stadttore empfahl sich also und war nicht überhastet. Sehr viel mehr war es nicht, wenn sie sich jetzt nach Göteborg aufmachte. Professor Wettergren lobte Marianas Entscheidung sehr:
    »An einem kleinen Theater wirst du viel mehr zum Zug kommen. Etwas abseits vom Schuss geht es nicht gleich um Kopf und Kragen.« Auch mit dieser Prophezeiung behielt er recht.
    In der ersten Zeit tat sich Mariana vor allem als Kammerzofe, Amme, Magd oder Dienerin hervor. Das kam ihr durchaus gelegen, sie musste sich erst einmal eingewöhnen, alles war aufregend und neu, die Theaterwelt, die Stadt, das Alleinsein – wirklich ihr ganzes Leben. Immerhin, so viel merkte sierasch: Sie war ein richtiges Theatertier. Sobald sie die Bühne betrat, fühlte sie sich verwandelt. Ihre Nüstern blähten sich und schnupperten entzückt die leicht muffige Luft, wollüstig berührten ihre Füße den an einigen Stellen sachte knarrenden Holzboden, die Scheinwerfer oben im Schnürboden erschienen ihr geheimnisvoller und strahlender als jeder kristallene Lüster, nichts fühlte sich zärtlicher an als der samtene große Vorhang.
    Nie langweilte sie sich auf den Proben, auch wenn sie lange Zeit nichts zu sagen und nichts zu tun hatte. Sie saß eben da und verfolgte aufmerksam jeden Gang, jeden Satz, jedwedes Geschehen. Sobald sie in ein Kostüm stieg, fühlte sie sich verzaubert, auch wenn es ihr nicht schmeichelte. In den grauen Lumpen einer alten Frau schrumpelte sie zusammen und zog humpelnd ein Bein nach.
    Beim ersten Ton unten im Orchester fuhr es ihr in alle Glieder. Schon bei den Proben. Bei den Aufführungen vibrierte jede Faser in ihr, nicht vor Angst oder Aufregung, es war Begeisterung. Doch sobald sie den ersten Ton gesungen hatte, überkam sie konzentrierte Ruhe,
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