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Im Rachen des Alligators

Im Rachen des Alligators

Titel: Im Rachen des Alligators
Autoren: Lisa Moore
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einem Vorort von St. John’s, hinter der Village Mall. Ich habe einen Highspeed-Internetanschluss, für meine Hausaufgaben. Ich gehe in die Küche, um etwas zu Abend zu essen, und da steht Mom.
    Mom fragt: Warum ziehst du denn so ein Gesicht? Immer ziehst du so ein Gesicht.
    Ich übernachte oft bei Tante Madeleine und schaue mir altes Filmmaterial von ihr an. Sie hat sämtliche Takes von praktisch allem, was sie je gedreht hat, aufgehoben. Ein Kernkraftwerk, und ein Wissenschaftler, der etwas dazu sagt. Ich gucke mir die Filmaufnahmen an und lese Cosmopolitan . Lesen ist das falsche Wort, ich blättere, überfliege. Ich mag das Knistern der Seiten, mag die absonderlichen Kleider und den Schweinkram, auf den man alle Naslang stößt. Dicke Klunker und Bulimie, Parfümflakons und jede Menge schimmernde Lippen, die im Begriff sind, irgendwas Obszönes zu flüstern.
    Ein Kernkraftwerk auf dem Festland, und der Typ redet. Er sagt: Man muss unterscheiden zwischen dem sicheren Funktionieren eines Kernkraftwerks und dem Schutz vor Sabotage. Er zieht eine Augenbraue hoch, so von wegen, ich weiß Bescheid.
    Schnitt.
    Das Beste an diesen Filmaufnahmen ist immer, wenn Madeleine aus dem Off Schnitt! schreit.
    Manchmal sehe ich Madeleine in einer der Aufnahmen. Ein Kameraschwenk, und da geht sie auf und ab mit verschränkten Armen, den Blick auf den Boden gerichtet. Sie ist jünger, viel jünger, und kauert mit dem Rücken zur Wand neben einem Edelstahlzylinder, der Sorte Aschenbecher, die es damals in öffentlichen Gebäuden gab.
    Sie raucht unentwegt, kneift die Augen zusammen, klopft auf der Suche nach einem Notizbuch ihre Gesäßtaschen ab, die silbernen Kreolen in ihrem schwarzen Haar verfangen. Einen Bleistift hinterm Ohr.
    Der Wissenschaftler versucht über Sabotage zu sprechen, und das war lange vor Sabotagezeiten.
    Es war vor den Zwillingstürmen und vor diesen Websites, wo ein Gewehr vor einem Pferch mit exotischen Tieren aufgebaut ist und man gegen eine Gebühr von seinem Sessel aus schießen kann. Man drückt auf die Eingabetaste, und ein Emu geht zu Boden.
    Emus und Orang-Utans hüpfen durch das Fadenkreuz eines Gewehrs, das irgendwo in Montana aufgebaut ist, man guckt sich das auf dem Bildschirm an, Peng, und dann kriegt man es mit der Post geschickt. Ein Emu auf zerstoßenem Eis, via PayPal.
    Oder diese Pennerkampf-Videos, die man im Netz finden kann. Ein Jeep fährt vor, fünf Kerle springen raus und dreschen in einer finsteren Seitengasse auf einen Haufen Kartons und dreckige Decken ein, bis zwei Penner aus dem reifüberzogenen Ramsch, unter dem sie schlafen, hervorgekrochen kommen. Sie sind bärtig und orientierungslos, und die fünf Typen aus dem Jeep hauen ihnen mit Schlagstöcken auf den Kopf, diesen armen zurückgebliebenen Alkoholikern, die die Arme hochrecken, um ihre Ohren zu schützen, sie schlagen auf sie ein, bis die Penner sich bereit erklären, gegeneinander zu kämpfen, damit die Typen ein Video davon machen und es ins Netz stellen können. Wie auf dem Sender Animal Planet , nur mit Wermutbrüdern.
    Ich hab so einen Pennerkampf mal bei einer Party in Mount Pearl auf einem Plasmabildschirm gesehen, aber dann kam wegen dem Krach irgendwann die Polizei, die Eltern waren in Florida. Alle sind gegangen, aber ich habe von der Straße aus durchs Fenster noch gesehen, wie die vier Bullen vor dem Plasmaschirm standen, sie ließen ihre kräftigen Schultern hängen, als könnten sie es nicht fassen, was sie da sahen.
    Der Wissenschaftler redet von Reaktorunfällen, und ich gehe in die Küche, um mir ein Sandwich mit Erdnussbutter und Honig zu machen. Er redet von Risikoabschätzung und der Einrichtung automatischer Sicherheitssysteme, die sich selbst aktivieren, wenn andere Sicherheitssysteme versagen. Von Kühlwasser und Programmierfehlern.
    Jemand hat mit dem Finger in die Erdnussbutter gelangt.
    Es ist eine fingerbreite Furche darin. Der Honig hat kristallisiert. Er ist weißlich und fest geworden – und es ist eine Quetschflasche. Sie macht Furzgeräusche. Ich liebe Madeleine, weil es bei ihr Honig und Vollkornbrot gibt und wegen dem Geruch ihres Kaschmirpullovers und ihrem klobigen Silberschmuck. Sie ist immer in Eile und mit Einkaufstüten oder Videoausrüstung oder Gepäck beladen, weil sie gerade von irgendeinem Nachtflug aus Paris oder Madagaskar kommt. Einmal habe ich gesehen, wie ihr ein schwarzer Schal entwischt ist, mit ein paar Umdrehungen ist er über den Bürgersteig geflattert, bis er sich in
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