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Im Rachen des Alligators

Im Rachen des Alligators

Titel: Im Rachen des Alligators
Autoren: Lisa Moore
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davon, dass er nach einem günstigen Flug Ausschau halte und dass die medizinische Versorgung in der Mayo-Klinik besser sei als alles, was in Neufundland zu kriegen war. Doch der Krebs seiner Mutter war zum Zeitpunkt der Diagnose bereits so weit fortgeschritten, dass keine Hoffnung mehr bestand, selbst wenn er genug Geld für die Mayo-Klinik gehabt hätte.
    Die Polizisten klopften mehrmals bei dem Inuit an die Tür. Dann kam einer von ihnen wieder zu Carol herunter und lieh sich ein Buttermesser aus, mit dem sie die Tür aufstemmten. Frank trat ins Treppenhaus, und er und Carol horchten. Sie standen da, Frank starrte auf Carols pinkfarbene Puschelpantoletten und ihre pfirsichgelb lackierten Zehennägel, und dann hörten sie einen Laut. Einen menschlichen Laut, kein Schrei, aber unüberhörbar, der Überraschung und zugleich Entsetzen ausdrückte, er kam direkt aus dem Bauch. Frank hörte den einen Polizisten sagen: Der hat sich aufgehängt da drin, Greg.
    Frank löste den Blick vom Boden, Carol hatte die Hand vor den Mund geschlagen, ihre Fingernägel waren in derselben Farbe lackiert wie ihre Fußnägel, und ihre Augen sahen hinter den Brillengläsern wässerig aus. Sie hatten nicht bewusst beschlossen, ins Treppenhaus zu treten, doch jetzt standen sie da. Der Inuit war einundzwanzig gewesen, zwei Jahre älter als Frank, er war drei Monate früher eingezogen, trank unablässig und blieb für sich, bis auf das eine Mal, als er mit Frank zusammen den Gehweg freigeschaufelt hatte.
    Frank hörte einen dumpfen Aufschlag, es musste der Leichnam sein, der aus der Schlinge befreit worden war. Die Polizisten unterhielten sich leise. Sie klangen ehrfürchtig und verstört zugleich. Frank und Carol standen wie angewurzelt da, sie hatten in der Woche vor Weihnachten beide eine wachsende Beklemmung verspürt, ohne allerdings je darüber gesprochen zu haben.
    An Heiligabend hatte Frank bei Carol geklopft und ihr eine Schachtel Pralinen überreicht, und sie hatte gesagt, sie habe auch etwas für ihn. Er erwiderte, das sei doch nicht nötig, aber sie sagte: Komm doch herein, bitte. Er sah, dass ihre Wohnung größer war als seine, aber er blieb in der Tür stehen, während sie im Schlafzimmer Schubladen aufzog und zuknallte, es dauerte ewig, und dann hörte er, wie Klebeband abgerissen wurde.
    Er stand da und wartete, und schließlich kam sie wieder, blies sich das Haar aus der Stirn, als wäre sie außer Atem, und überreichte ihm das Geschenk. Er packte es aus, es war eine Flasche Männerparfüm von Avon. Die Flasche hatte die Form eines Pferdes, das ein Vorderbein anhebt. Die Hälfte des Parfüms war bereits verbraucht.
    Carol fragte ihn, ob er hereinkommen und ein Glas Scotch mit ihr trinken wolle, sofern er alt genug sei, um Alkohol zu trinken, und dann begannen gegenüber in The Kirk, der St. Andrew’s Church, die Dudelsäcke zu spielen, und Frank sagte, dass sie wegen dieses Typs aus dem dritten Stock vielleicht die Polizei rufen sollten. Er hielt immer noch das Glaspferd und das zusammengeknüllte Geschenkpapier in der Hand.
    Carol war kleiner als Frank, und sie trug eine Bifokalbrille. Die untere Hälfte der Brillengläser vergrößerte die weichen Tränensäcke unter ihren Augen, die sehr hell und zart geädert waren; ihre Wimpern waren fast durchsichtig. Sie umfasste die Kante des Türrahmens, schaute zu ihm hoch und zwinkerte mehrmals heftig, während sie entschied, was zu tun war.
    Keiner von ihnen wollte hochgehen und klopfen.
    Sie hatten ihn aus Taxis herausstolpern sehen, zu jeder Tages- und Nachtzeit vor sich hinsingen hören. Und jetzt seit zwei Tagen plötzlich nichts mehr.
    Am Nachmittag seines Umzugs war Frank zur Bushaltestelle hinuntergegangen, hatte den Zweier-Bus zur Village Mall genommen und bei Sears auf fünf oder sechs Betten probegelegen. Er legte sich hin und breitete die Arme aus, wobei er darauf achtete, dass seine Stiefel nicht die Matratze berührten. Ein Mann kam vorbei und fragte, ob er ihm helfen könne, und Frank sagte, er wolle ein Wasserbett, und zwar mit Anlieferung.
    Der Mann sagte, Wasserbetten seien das Teuerste, was es an Betten gebe. Frank lag immer noch auf dem Rücken. Die Decke war hoch über ihm.
    Ich habe einen Haufen Geld, sagte Frank.
    Die Polizisten kamen wieder aus der Wohnung und gingen im Treppenhaus an Carol und Frank vorbei, und Frank merkte, dass er im Weg stand, also kehrte er in seine Wohnung zurück und machte die Tür zu. Dann öffnete er sie wieder, blieb stehen und
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