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Das Dunkel der Lagune

Das Dunkel der Lagune

Titel: Das Dunkel der Lagune
Autoren: Jack Higgins
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Macao 1953

    1. Kapitel

    Als Mark Hagen aus der Spielhölle im Hinterzimmer von Charlie Beales Kneipe kam, war er betrunken. Er hörte die Tür hinter sich ins Schloss fallen und schwankte einen Moment, als ihm die kalte Nachtluft entgegenschlug. Er lehnte sich gegen die Mauer und presste die Stirn an die kühlen Backsteine. Nach einer Weile stieß er sich von der Wand ab, ging mit langsamen, vorsichtigen Schritten die schmale Gasse entlang und atmete tief durch, um einen klaren Kopf zu bekommen. Er fingerte aus seiner Jackentasche ein zerdrücktes Päckchen Zigaretten. Langsam und bedächtig zündete er sich eine an und sog den Rauch mit Genuss ein.
      Dünne Nebelschwaden zogen, von einem kalten Windstoß getrieben, vom Hafen herüber. Nur das Plätschern der Wellen störte die nächtliche Stille. Hagen fragte sich, wie spät es wohl sein mochte, und hob wie gewohnt den rechten Arm, doch dann fiel ihm ein, dass seine Uhr und sein letztes Geld auf Charlie Beales grün bespannten Tischen verspielt worden waren. Er entschied, dass es bereits drei Uhr sein musste, weil er es so im Gefühl hatte, oder vielleicht auch nur, weil er müde war und langsam alt wurde. Zu alt für das Leben, das er in den letzten vier Jahren geführt hatte. Zu alt, um sein Glück von Karten oder Würfeln abhängig zu machen. Er musste plötzlich lachen, als er sich seiner gegenwärtigen Lage bewusst wurde. Der Zoll hatte seinen Kutter beschlagnahmt, ihn damit seiner einzigen Verdienstmöglichkeit beraubt, und nun war auch noch sein letztes Geld weg.
      »Diesmal warst du wirklich gründlich«, murmelte er vor sich hin. »Diesmal hast du dich wirklich selbst übertroffen.«
      Irgendwo in der Ferne schrie eine Frau. Er lauschte mit leicht nach vorn geneigtem Kopf. Wieder war ein merkwürdig gepresster, vom Nebel gedämpfter Schrei zu hören. Mark überlegte einen Moment lang, die Hilferufe einfach zu ignorieren, lief dann aber doch los.
      Der Alkohol rumorte heftig in seinem Magen, und er verfluchte seine Mittellosigkeit, die ihn zwang, billiges Bier zu trinken. Er rannte auf leisen Sohlen um eine Ecke und entdeckte sie: Im trüben gelben Licht einer Straßenlaterne sah er zwei Männer, die eine sich heftig wehrende Frau am Boden festhielten.
      Als der Mann, der ihm am nächsten stand, sich erschrocken umdrehte, versetzte Hagen ihm einen Fußtritt ins Gesicht, dass er rückwärts taumelte und ins Hafenbecken fiel. Der andere sprang auf Hagen zu und drohte mit einem blinkenden Messer. Während sie einander lauernd umkreisten, erkannte Hagen, dass sein Gegenüber Chinese war und Mordlust in seinen Augen funkelte. Als Hagen zurückwich, grinste der Chinese und stürzte sich auf ihn. Hagen riss den Arm hoch, um den Stoß des Messers abzuwehren. Gerade als er seinem Gegner das Knie in den Unterleib rammte, fühlte er plötzlich einen stechenden Schmerz. Der Chinese krümmte sich auf dem Boden und war nur noch ein zuckendes Häufchen Elend. Hagen schätzte kaltblütig die Entfernung ab und trat ihm mit voller Wucht gegen den Kopf.
      Es war wieder ganz still.
      Hagen atmete schwer und blickte auf den regungslosen Chinesen hinunter. Schließlich drehte er sich um und suchte nach der Frau. Sie stand im Schatten der Tür eines Lagerhauses.
      Hagen ging auf sie zu und fragte freundlich: »Ist Ihnen was passiert?«
      Die weiß gekleidete Gestalt bewegte sich ein wenig, und eine zarte Stimme flüsterte: »Bitte bleiben Sie einen Moment,
    wo Sie sind!«
      Die Stimme verblüffte ihn, und er fragte sich, was eine Engländerin zu so früher Stunde im Hafen von Macao zu suchen hatte. Schließlich trat sie aus dem Schatten heraus und kam auf ihn zu.
      »Mein Kleid ist zerrissen, ich musste es erst zusammenstecken.«
      Er hörte kaum, was sie sagte. Sie war noch ein Mädchen, kaum älter als siebzehn oder achtzehn, aber keine Engländerin, obgleich Akzent und Ausdrucksweise darauf hindeuteten, dass ein Elternteil aus England stammen musste. Hagen bewunderte ihren samtenen Teint, der Eurasierinnen so eigen ist, und ihre ausgeprägten vollen Lippen, die ihr einen Hauch von Sinnlichkeit verliehen. Sie war von atemberaubender Schönheit und strahlte eine frische Natürlichkeit aus. Dieses zarte Wesen stand vor ihm und sah ihm ernst und unverwandt in die Augen. Hagen fröstelte plötzlich ohne ersichtlichen Grund. Er befeuchtete seine trockenen Lippen und brachte es endlich fertig, etwas zu sagen. »Wo wohnst du?«
      Sie nannte das
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