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Im Rachen des Alligators

Im Rachen des Alligators

Titel: Im Rachen des Alligators
Autoren: Lisa Moore
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mit gerunzelter Stirn, selbst ihr Kinn kräuselte sich.
    Da fehlt –, sagte sie. Dann holte sie tief Atem, hob die Hand und spreizte die Finger. Ihr Zeigefinger wurde fast ganz von einem riesigen Ring verdeckt. Es war ein Drache.
    Luft, sagte sie und klatschte die Karte auf die Theke.
    Die ist zu voll. Sie schob die Geschäftskarte mit einem Finger zu ihm hinüber. Frank nahm sie entgegen. Sie hatten sämtliche Einzelheiten der Karte am Telefon durchgesprochen. Es war eine Karte, die für Dinnertheater warb.
    Wir könnten eine andere Schrift nehmen, sagte er. Ich weiß nicht, was Sie von Kursivschrift halten.
    Eine Geschäftskarte, sagte sie. Die sollte so großzügig angelegt sein wie ein Golfplatz. Frank setzte mit einem Schersprung über die Theke, sodass er neben ihr zu stehen kam, und hielt ihr die Karte hin. Er wollte drucken. Er hatte mehrere Stunden in diese Karte investiert. Und er hatte alles genau so gemacht, wie sie es verlangt hatte.
    Manche Leute mögen Kursivschrift, sagte er.
    Isobel dreht sich um und schaute zu ihm hoch. Er machte Hanteltraining, wie sie sehen konnte. Das Hemd war gebügelt, und sie roch frische Luft. Sein Gesicht war frei von Narben. Deshalb war sie gekommen. In der Presse hatte es geheißen, die schlimmsten Verbrennungen habe er an Brust und Gliedmaßen erlitten. Sie wollte sicher wissen, was mit seinem Gesicht war.
    Eine Geschäftskarte muss funktionieren, sagte sie.
    Ihre Funktion, sagte Frank, besteht darin, den Leuten eine Vorstellung zu vermitteln.
    Ich wünschte, die Karte könnte einfach leer sein. Stellen Sie sich mal vor, wie das wäre, wenn gar nichts darauf stünde.
    Frank spürte, wie das Gebäude pulsierte. Es waren die Heizungs- oder die Wasserrohre. Diese Frau war unbestreitbar schön – weiche glänzende Locken, große blaue Augen, ein breiter Mund.
    Das Geld von der Versicherung war mittlerweile gekommen, und wenn sie in ein Apartment zog, würde sie wohl ein, zwei Jahre davon leben können. Das Dinnertheater konnte in die Hose gehen, alle meinten, es werde in die Hose gehen, aber sie würde es ausprobieren. Sie wollte es ausprobieren. Sie hatte einen staatlichen Zuschuss für Werbemaßnahmen bekommen – Plakate, Geschäftskarten, ein paar Werbespots im Radio.
    Auf einer Geschäftskarte muss der Name des Unternehmens stehen, sagte Frank. Plötzlich sah sie richtig grimmig aus.
    Das ist wohl so, sagte sie.
    Ich hätte da was, sagte Frank. Er verschwand kurz und kam mit einem Packen Kartonbögen zurück.
    Hier, da hat man was in der Hand, sagte er. Er öffnete das Paket, zog einen Bogen heraus und reichte ihn ihr. Sie hielt ihn ins Licht.
    Ich würde den gern leer lassen, sagte sie.
    Der Sinn einer Geschäftskarte, sagte er.
    Man muss auf den ersten Blick erkennen, worum es geht, sagte Isobel.
    Dann wird wohl etwas darauf stehen müssen, sagte Frank.

Madeleine
    Sie hatte sich mit Beverly auf einen Kaffee getroffen. Danach hatten sie noch einen Moment lang auf der Water Street gestanden, während der Wind einen Pappbecher vom Bürgersteig lupfte und wieder auf den Boden knallte. Mike Dower ging vorbei. Mike Dower leitete das Römisch-Katholische Archiv, er hatte ihr Erzbischof Flemings Briefe gezeigt.
    Kein Mensch, sondern ein Werkzeug Gottes, hatte Mike Dower gesagt.
    Das war ihr Ziel gewesen: Das Werkzeug Gottes ins schneeverwehte Ödland zu holen, Erzbischof Flemings blindes Verlangen, die ganze Küste mit Katholiken zu besiedeln, den triefend grauen Himmel mit dem Läuten von Kirchenglocken zu erfüllen. Madeleine sah fahle, in Lumpen gekleidete Kinder vor sich, die mit großen Augen zuschauten, wie der Bischof von der Kanzel wetterte, frostige Atemwölkchen vor dem Mund.
    Colleen ist wieder da, sagte Beverly.
    Es ist zu heiß zum Weglaufen, sagte Madeleine. Das Mädchen hatte rebelliert – was Wunder. Man musste sich nur mal umschauen – es brannte auf jeder Titelseite, brannte in jedem Zeitungskasten in der Water Street. War es Irak oder Sudan? Natürlich rebellierte das Mädchen. Wer konnte schon an diesen Kästen vorbeigehen und nichts unternehmen?
    Die Schmerzen in ihrer Brust sind grauenhaft an diesem späten Nachmittag im August, also setzt sie sich in den Armsessel und liest. Sie kann nicht arbeiten. Sie stellt sich vor, dass Erzbischof Fleming im Zimmer steht, neben dem Kleiderschrank. Zunächst ist es, als ob er im Zimmer wäre. Dann wird dort in der Zimmerecke jemandes Gegenwart konkret spürbar. Die Gegenwart des Erzbischofs verdichtet sich wie
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