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Im Rachen des Alligators

Im Rachen des Alligators

Titel: Im Rachen des Alligators
Autoren: Lisa Moore
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braten, kannst du mir das verraten?
    Der Dreh ist abgebrochen worden, sagt die Produktionsassistentin. Die Totenwache für die Regisseurin wird in Caul’s Funeral Home gehalten, und statt Blumen wird eine Spende an Ärzte ohne Grenzen erbeten.
    Ich habe nicht mehr lang zu leben, verstehst du, hatte Madeleine gesagt. Sie schwenkte die Gabel, ein Kommentar zu dem Hamburger. Der Kommentar lautete: Wenn sie schon nicht mehr lang zu leben hatte, konnten die himmlischen Mächte dann nicht wenigstens dafür sorgen, dass sie einen ordentlichen Hamburger bekam? Da aß sie nun schon kein Fleisch mehr, hatte sich ausnahmsweise mal etwas gönnen wollen, und jetzt das.
    Sie habe nicht mehr lang zu leben, sagte sie, und Isobel könne ruhig einen Mann zu ihrer Beerdigung mitbringen. Sie winkte die Bedienung zu sich und erklärte ihr noch einmal genau, wie sie ihren Burger haben wollte. Als er zurückkam, war er verbrannt.
    Isobel wollte ihr von dem Feuer erzählen, weil Madeleine sich der Sache annehmen würde. Sich selbst konnte sie nicht trauen, das wusste Isobel. Irgendetwas stimmte mit ihr nicht. In einer schwierigen Zeit in ihrem Leben hatte ein starker Mann sie in seiner Gewalt. Sie wurde zerstört. Sie würde die Augen schließen, Messer und Gabel umklammern und sagen: Brandstiftung . Sie würde von seiner Hand an ihrer Kehle erzählen, wie fest er zugedrückt hatte, und dass ihr ganzes Hab und Gut in Flammen aufgehen würde. Dass sie aus dem Gleichgewicht geraten und sehr ängstlich geworden sei. Sie würde von den Pillen erzählen, die sie seit einiger Zeit nahm.
    Ich muss dir was erzählen, hatte Isobel gesagt.
    Ich habe nicht viel Zeit, hatte Madeleine gesagt.

Frank
    Es hatte fast den ganzen Dezember hindurch geregnet, ein eisiger Regen, und die Nachmittage waren dunkel, aber es schneite nicht. Der Regen peitschte gegen die Häuser, und die Bürgersteige waren rutschig, manchmal fiel Schneeregen. Frank hatte den größten Teil des Nachmittags damit verbracht, im Copyshop Geschäftskarten zurechtzuschneiden, und es war kurz vor Ladenschluss. Lana hatte schon die Böden gewischt. Sie schaltete die summenden Lampen aus, und ihre gelben Gummihandschuhe leuchteten im Halbdunkel.
    Sie lehnte sich einen Augenblick lang an den Türrahmen, hielt mit beiden Händen den Stiel des Wischmops und stützte das Kinn darauf.
    Das Putzmittel roch nach Ammoniak. Der Geruch erinnerte ihn an seine Mutter. Er sah sie vor sich, im kurzärmeligen Hemd, die Ellbogen schrundig von Ekzemen.
    Ammoniak erinnerte ihn an Krebs, an die Schneise, die der Krebs, brutal und gleichgültig, in sein Leben geschlagen hatte, und an jenen Abend im Juli, als Mrs. Hallett ihn, den Fünfjährigen, wieder zu seiner Mutter zurückbrachte, der man beide Brüste abgenommen hatte.
    Deine Mutter kommt aus dem Krankenhaus, Frank, hatte sie gesagt. Er hatte sich nicht recht getraut, ihr zu glauben.
    Mrs. Hallett hatte sie damals zum Lodden-Fangen mit an den Middle Cove Beach genommen. Kevin und er waren über die Felsen gekraxelt und hatten die zappelnden Fische mit der bloßen Hand aus dem Wasser geholt. Jemand hatte eine Taschenlampe auf die Brandung gerichtet, und die Lodden, die in den brechenden Wellen tanzten, sahen aus wie ein flatternder silberner Schal. Mrs. Hallett hatte sich vor ihm auf ein Knie gestützt, ihn an den Ellbogen gefasst und gesagt, wenn wir in die Stadt zurückkommen, ist deine Mutter wieder zu Hause. Sie werde ihn direkt zu ihr bringen. Dann kannst du ihr all deine Fische zeigen, sagte sie.
    Später hatte er in der Water Street auf dem Bürgersteig gestanden, im dritten Stock war das Fenster aufgegangen, und da war seine Mutter in ihrem Flanellnachthemd, sie beugte sich hinaus, die Ellbogen aufs Fensterbrett gestützt, wartete auf ihn. Er öffnete die Dominion-Tüte, damit sie hineinschauen konnte, und die Lodden glitzerten im Licht der Straßenlampe.
    Vorhin ist ein komischer Anruf gekommen, sagte Lana. Irgendwo im fünften Stock gurgelte noch Wasser in den Leitungen. Dabei war das Gebäude leer. Warum wird in einem alten Gebäude wie diesem alles anders, sobald man das Licht ausmacht? Er konnte den Wind draußen hören. Heute hatte alles irgendwie mit seiner Mutter zu tun; es lag an diesem Wetter. Das riesige colafarbene Fenster des Copyshops ging auf den Hafen hinaus. Es hing voller Regentropfen. Sie war immer so stolz gewesen, wenn er eine gute Note geschrieben hatte. Sie nahm sein Gesicht dann in beide Hände und schaute ihm direkt in die
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