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Im Nebel eines neuen Morgens - Kriminalroman

Titel: Im Nebel eines neuen Morgens - Kriminalroman
Autoren: Bastei Lübbe
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Und er hatte sich damit die Angst erkauft, die alle vor ihm hatten. »Wie ist er gestorben?«
    »Das versuchen wir herauszufinden.«
    Sie schnaubte. »Kann doch nicht so schwer sein. Erschossen, erstochen, was?«
    Nun sah der Sheriff ihr doch noch in die Augen. »Sieht so aus, als wäre er bei lebendigem Leib von einem wilden Tier gefressen worden.«
    »Großer Gott, Joe. Sie sagten, er ist ermordet, nicht von einem Tier angefallen worden.« Ihr war nicht mehr danach, die Leiche zu sehen. Sie hatte Post auszutragen.
    »Wir haben jemanden, der ein Geständnis abgelegt hat. Sie hält sich für einen loup-garou .«
    Joe war niemand, der sich über die legendenhaften Wesen in den Sümpfen lustig machte. Sie begleiteten ihn seit seiner Kindheit, genau wie Chula. Die Gemeinde verband ein dichtes Gespinst aus abergläubischen Vorstellungen, die mit den Akadiern ins Land gekommen waren und sich mit den volkstümlichen Geschichten der Indianerstämme und der Schwarzen vermischt hatten. Ein Gerücht wie dieses konnte eine Panik auslösen.
    »Ich würde nicht vom loup-garou reden, wenn ich Sheriff wäre.« Sie zog eine Augenbraue hoch. »Es reicht schon, dass der Krieg die Jungen und Männer raubt, die Frauen brauchen keinen weiteren Grund, um Angst zu haben.«
    Joe nickte. »Kann nichts machen, wenn Adele Hebert es so behauptet. Sie sagt, sie hätte ihn umgebracht. Sieht aus, als hätte sie ihm im Wald aufgelauert, als er spazieren war, dann sprang sie ihn an und wollte seine Leber verspeisen.«
    Chula legte dem Sheriff die Hand auf die Brust. »So etwas will ich nicht hören. Ich kenne Adele. Und ihren Bruder Clifton, den Trapper. Sie ist genauso wenig ein loup-garou wie ich, und wenn Sie das dem Falschen erzählen, weiß es nach einem halben Tag die ganze Gemeinde, und dann werden Sie wirkliche Probleme bekommen.«
    Er zuckte zurück. Sie hatte ihn gekränkt. Aber bisweilen benahm sich Joe Como, als hätte ihm Gott einen mehr als unzureichenden Verstand mitgegeben. Chula Baker wusste, dass sie als hochnäsig und übermäßig gebildet galt. Sie hatte einige Zeit in Lafayette und Shreveport verbracht, Städten, die die Werte der ländlichen Gemeinden nicht achteten. Sie hatte auf dem College die Lehrerausbildung absolviert, dabei ihre Liebe für die Gelehrsamkeit entdeckt und die notwendigen Fähigkeiten erworben, um den Eignungstest für den Postdienst zu bestehen – etwas, woran mehrere Männer gescheitert waren. Von ihrer Mutter, die mit ihren zweiundsechzig Jahren noch immer für ihre spitze Zunge gefürchtet wurde, mit der sie einen Mann mitten entzweischneiden und dann im Dreck verbluten lassen konnte, hatte sie gelernt, mit ihrer Meinung nicht hinter dem Berg zu halten.
    »Ich danke Ihnen für Ihr Interesse, Miss Chula.« Joe wollte sich schon umdrehen.
    »Ich will Ihnen nicht in Ihren Job dreinreden, Joe. Ich will nur nicht, dass aus irgendwelchen wilden Gerüchten ein Lynchmob entsteht.« Ihr sanfterer Tonfall fand mehr Gehör. »Die Menschen hier sind am Ende. Die meisten Familien haben einen Sohn oder Bruder oder Vater verloren. Wir haben uns hier ein Leben aufgebaut, in einer Gegend, in der andere längst umgekommen wären. Diese Sümpfe haben uns Schlimmes angetan, aber wir sind nicht gegangen. Eine Lügengeschichte über einen Werwolf könnte der Tropfen sein, der das Fass zum Überlaufen bringt.«
    Der Sheriff nahm den Hut ab und wischte sich mit dem Ärmel seines olivgrünen Hemds über die Stirn. Sein Unwille hatte merklich nachgelassen, als er sie mit seinen braunen Augen wieder ansah. »Da haben Sie recht, cher .«
    »Was sagt Doc Fletcher?« Die Sonne war mittlerweile, während Chula an Joes gesunden Menschenverstand zu appellieren versuchte, über die Baumwipfel gestiegen. Es war noch kalt, am Nachmittag aber würde es sonnig und warm werden. Kräftiger Sonnenschein war das beste Mittel, damit sich dumme Gespenstergeschichten in Luft auflösten.
    »Doc war letzte Nacht auf einer Konferenz in Baton Rouge. Er wird sich die Leiche anschauen, sobald er wieder hier ist.«
    Sie tätschelte Joe den Arm. »Erzählen Sie den Leuten, Sie wollen erst Docs fachkundige Meinung abwarten. Sagen Sie ihnen, es ist alles noch recht rätselhaft, aber hüten Sie sich davor, irgendwas Übernatürliches zu erwähnen.«
    Sie spürte, wie er sich unter ihrer Berührung versteifte. Wieder hatte sie diese unsichtbare Linie überschritten. »Na, dann kümmere ich mich mal lieber um meinen eigenen Kram und lass Sie in Ruhe.« Sie
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