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Im Nebel eines neuen Morgens - Kriminalroman

Titel: Im Nebel eines neuen Morgens - Kriminalroman
Autoren: Bastei Lübbe
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nicht. Sein Wagen war nicht mit einem Funkgerät ausgestattet, jedes elektronische Gerät wurde für den Krieg gebraucht. Noch nicht mal Alufolie gab es mehr. Er konnte nichts tun, außer zu rauchen und auf seine Gefangene zu warten.
    Fünf Zigarettenkippen lagen aufgereiht auf der Holzbalustrade der Veranda, als Madame zu ihm heraustrat.
    »Ich hab sie abgetrocknet, es geht ihr jetzt besser, cher . Das Fieber hat nachgelassen, aber ich hab keine Medikamente, damit es ganz weggeht. Sie ist dem Fieber ausgeliefert, vorerst. Sie wird es überleben – oder auch nicht. Es liegt alles in der Hand Gottes und an ihrem Willen.«
    »Ich muss sie ins Gefängnis bringen.«
    Sie nickte bedächtig. »Es wäre das Beste, wenn sie hierbleiben könnte, dann kann ich mich um sie kümmern.«
    »Nein …«
    Sie hob die Hand. »Ich verstehe, du musst sie mitnehmen. Mach Folgendes, Raymond. Halt sie trocken und warm. Gib ihr alle vier Stunden diese Kräuter. Öffne ihr wenn nötig mit Gewalt den Mund, und träufle sie ihr ein. Gib ihr Suppe. Zwing sie dazu, dass sie trinkt.«
    Ihr Blick verriet, dass es noch etwas gab. »Was ist mit ihrem Verstand?«
    »Ist im Fieber verglüht, möglicherweise.« Sie schüttelte den Kopf. »Es gibt einen Punkt, an dem selbst der stärkste Mensch überfordert ist. Adele hatte viel zu leiden.« Sie berührte ihn leicht am Arm.
    »Hältst du sie für so stark, dass sie einen erwachsenen, gesunden Mann überwältigen kann? Er wurde regelrecht ausgeweidet. Als wäre eine Horde blutrünstiger Tiere über ihn hergefallen.«
    Sie sah zu den Bäumen, die um ihr Haus im Wind rauschten. »Gutes und Böses wandelt auf Erden, Raymond. Das weißt du, du bist damit in Berührung gekommen. Keiner kann die Macht des einen wie des anderen abschätzen. Sie war voller Blut, manches davon ihr eigenes. Sie hat sich aufgeschürft, sie hat Schnittwunden, als wäre sie von einem Wagen gestreift worden. Das meiste Blut aber stammte nicht von ihr.«
    Raymond warf die sechste Kippe auf den Boden. »Danke. Die County wird für deine Unkosten aufkommen.«
    »Ist umsonst. Ich nehm kein Geld für die, die ich nicht heilen kann.«
    Er ließ Madame auf der Veranda stehen und trat durch die Tür. Adele Hebert lag unter drei bunten Steppdecken. Ihr Gesicht, vom Blut gesäubert, war blass und hager, das lange Haar, mittlerweile getrocknet, lag wie eine dunkle Aura um ihren Kopf gebreitet. Sie sah aus, als wäre sie tot, als wäre sie eine der Figuren in einem Kirchenfenster. Ohne nachzudenken, bekreuzigte er sich, eine Gewohnheit aus seinem früheren Leben.
    »Sie atmet kaum noch.« Madame berührte ihn am Arm. »Viel Unheil ist in dieser Frau, Raymond. Lass nicht zu, dass es auf dich übergreift.« Ihre Berührung verstärkte sich. »Du trägst selbst viel Unheil mit dir herum, cher . Ob du es verdient hast oder nicht.«
    Raymond zuckte innerlich zusammen. Niemand sonst in der Stadt würde es wagen, so mit ihm zu reden. Er hob Adele Hebert hoch und wickelte sie in die Steppdecken. »Ich werde die Decken zurückbringen.«
    Madame nickte. Sie stand in der Tür und sah zu, wie er mit der Frau auf den Armen die steile Treppe hinunterging und sie auf den Beifahrersitz setzte. Er sah keine Notwendigkeit, ihr die Handschellen anzulegen. Sie war in einen tiefen Schlummer, fast schon in Bewusstlosigkeit gefallen. Als er aufsah, bemerkte er, dass Madame bereits damit begonnen hatte, mehrere Kerzen aufzustellen. Sie reinigte ihr Heim von allem Bösen. Trotz seines fehlenden Glaubens lief ihm ein kalter Schauer über den Rücken.
     
    Das Arbeitszimmer war vollgestopft mit Büchern, die meisten davon ledergebunden. In den vergangenen zehn Jahren waren sie Vater Michael Finleys nächste Freunde gewesen, sein Trost in der Wildnis. Sie verströmten einen modrigen Geruch; er würde Colista auftragen müssen, sie wieder zu reinigen, wenn trockenes Wetter herrschte. Wenn man nichts dagegen unternahm, würde die Feuchtigkeit sie ruinieren, dabei waren manche recht alt und wertvoll.
    Barfuß, in Unterwäsche eilte er über den bunten Läufer zum klingelnden Telefon. Die Morgendämmerung hatte noch nicht eingesetzt, das fordernde Läuten des Apparats konnte also nur eines bedeuten: Der Tod hatte sich angemeldet. Nur wenige in der Gemeinde Iberia konnten sich ein Telefon leisten. Er hatte diesen Luxus mit dem Hinweis darauf gerechtfertigt, dass seine Dienste oftmals unverzüglich benötigt wurden. Aber es gab Zeiten, da bedauerte er die Entscheidung seiner
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