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Im Nebel eines neuen Morgens - Kriminalroman

Titel: Im Nebel eines neuen Morgens - Kriminalroman
Autoren: Bastei Lübbe
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gehen. Raymond hatte in ihm Bilder und Erinnerungen wachgerufen, die so verrucht und schneidend waren wie die Forke des Teufels.
    Seine Neugier weckte den Wunsch, sofort zum Gemeindegefängnis zu fahren, seine Pflicht hingegen lenkte ihn zum Haus der Bastions. Aber nicht in der Dunkelheit. Nicht in dieser Nacht, in der ein sonderbarer feuchter Wind durch den Kamin heulte und die Vergangenheit wie eine schlafende Tote geweckt worden war. Adeles Wut über die Exkommunikation ihrer Schwester war ihm lebhaft in Erinnerung. Sie hatte ihn und die Kirche verflucht. Sie hatte ihm die Rache Gottes an den Hals gewünscht, weil er den Anweisungen seines Bischofs gefolgt war und den geheiligten Boden des Friedhofs für Rosas Leichnam nicht geöffnet hatte. Selbstmörder konnten auf geweihtem Grund nicht bestattet werden.
    Adele hatte Rosa und daraufhin ihre toten Zwillinge an einer geheimen Stelle in den Sümpfen begraben. Er war nie zu ihr gegangen, um ihr seinen Rat zuteil werden zu lassen, zunächst, weil er sie nicht noch mehr erschüttern wollte, dann, weil er seine Starre nicht überwinden konnte, die ihn jedes Mal befiel, wenn er ihren Namen hörte. Selbst wenn er sie aufgesucht hätte, sie hätte nie auf ihn gehört. Ihr Schmerz und ihr Zorn hatten sie augenscheinlich in den Wahnsinn getrieben.
    Ein Holzklotz knackte, als ein Windstoß durch den Kamin fegte. Funken, die ihn vage an die Gestalt einer Frau erinnerten, sprühten durch das ganze Zimmer. Eilig trat der Priester die glühende Asche aus, die auf den Läufer gefallen war. Der Kamin stellte eine Gefahr dar, die Nacht eine noch größere.
    Er würde auf die Morgendämmerung warten, bis er Marguerite Bastion und ihrer Trauer gegenübertreten wollte. Bis dahin würde er darum beten, dass er seine eigenen Unzulänglichkeiten überwand, von denen es so viele gab.

3
     
     

     
     
     
     

     
    hula Baker schaltete in den Leerlauf und zog die Handbremse an, bevor sie ausstieg. Den Motor ließ sie laufen. Es war ein alter Wagen, der manchmal nicht mehr anspringen wollte. Das erste Licht des kühlen Oktobermorgens kroch über den östlichen Himmel, als sie die Ansammlung von Autos und Männern entdeckte, die auf der anderen Seite des Beaver Creek auf der Straße standen. Der Brief auf dem Beifahrersitz ihres eigenen Wagens bedeutete für die Lanoux-Familie nichts Gutes. Was dort die Straße blockierte, ebenfalls nicht. Der Tod kam nie allein.
    Sie ging auf die Männer zu, die sie noch nicht bemerkt hatten. Ihr schweres Kleid, mit einem Gürtel um die schmale Taille gebunden, schwang um ihre nackten Beine. Seit Kriegsbeginn waren keine Strümpfe mehr zu haben, und die amtlichen Vorschriften verboten es Frauen, bei der Arbeit mit Hosen zu erscheinen. Daher trug sie in der Oktoberkühle ein langes Kleid und feste Schuhe mit dicken Socken. Arbeitstage mit achtzehn Stunden hatten ihr schnell die Sehnsucht nach hochhackigen Schuhen ausgetrieben.
    »Miss Chula.« Sheriff Joe Como verstellte ihr den Weg. »Was machen Sie denn hier, cher ?«
    Sie musterte sein Gesicht. Obwohl es um die fünf Grad sein musste, stand ihm der Schweiß auf der Stirn. Er wich ihrem Blick aus. »Hab letzte Nacht einen Brief für die Familie Lanoux bekommen. Von der Army. Ich wollte im Unwetter nicht rausfahren, daher dachte ich mir, ich bring ihn gleich heute Morgen.«
    »Es geht um Justin?«
    »Ich kann fremde Post nicht lesen.« Sie dachte an den behördlichen Umschlag sowie die Hunderte anderen, die sie ausgetragen hatte. »Solche Briefe haben noch nie etwas Gutes gebracht.«
    Der Sheriff spuckte einen braunen Speichelfaden auf die noch immer schlammige Straße. »Ganz Iberia verdorrt und vergeht. Die vielen jungen Männer, die drüben in Europa sterben. Und so Alte wie ich müssen für Gesetz und Ordnung sorgen.«
    »Joe, Sie haben noch gut dreißig Jahre vor sich.« Sie reckte den Hals, um an ihm vorbeizusehen. »Was ist hier los?«
    Er verstellte ihr die Sicht. »Ein Mord. Etwas, was Sie lieber nicht sehen wollen.«
    »Mord?« So etwas passierte in New Iberia nicht. Zumindest nicht auf einer öffentlichen Straße. Wenn einer jemanden umbringen wollte, dann tat er es in den Sümpfen, wo man die Leiche den Alligatoren als Köder vorwerfen konnte. »Wer ist es?«
    »Henri Bastion.«
    Der Name entsetzte sie noch mehr. Henri war der wohlhabendste Bürger der Gemeinde. Sein Geld hatte ihm den fruchtbarsten Boden eingetragen, eine französische Frau aus vornehmer Abstammung und flegelhafte Kinder.
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