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Im Nebel eines neuen Morgens - Kriminalroman

Titel: Im Nebel eines neuen Morgens - Kriminalroman
Autoren: Bastei Lübbe
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lächelte unschuldig und nahm erleichtert zur Kenntnis, dass er das Lächeln erwiderte. »Kommen Sie mal wieder auf einen Whiskey vorbei. Clifton hat Mama letzte Woche eine neue Flasche besorgt. Es würde sie freuen, wenn Sie ihr auf ein Gläschen Gesellschaft leisten könnten.« Sie zwinkerte ihm zu. »Ganz klammheimlich, natürlich.«
    »Sie haben die spitze Zunge Ihrer Mutter, cher , und Sie verstehen es, einem wie Ihr irischer Daddy zu schmeicheln.« Er runzelte die Stirn. »Was auch gut so ist, sonst würde ich glatt vorhersagen, dass Sie noch als alte Jungfer enden.«
    Sie lachte laut auf, ein schallender Ton, der von der Wand aus Bäumen am Rand der unbefestigten Straße zurückgeworfen wurde. »Es gibt Schlimmeres, Joe. Ob Sie es glauben wollen oder nicht, aber es gibt Schlimmeres.«
    Ihr Blick schweifte zu den Männern, die von der Straße etwas aufhoben. Als sie Raymond Thibodeaux’ muskulösen Rücken erkannte, gab es ihr einen Stich. Sie musste an die Schönheit seines Körpers denken, bevor er in den Krieg gezogen war. Als junger, fröhlicher Mann war er nach Europa gegangen, als ein Schatten seiner selbst war er zurückgekehrt. Sein dunkles Haar war von grauen Strähnen durchzogen, an manchen Tagen hinkte er und sah jeden herausfordernd an, der es wagte, ihn darauf anzusprechen. Sein Körper war voller Schrapnellsplitter. Gerüchten zufolge würde er eines Tages vollständig gelähmt sein.
    Sie stellte sich in den Schatten und wartete, bis sie Henris Leichnam auf die Ladefläche des Pick-up verfrachtet hatten. Als Raymond allein war, ging sie zu ihm hinüber. »Mutter und ich würden uns freuen, wenn du zum Abendessen kommen würdest, Raymond.« Eine Einladung, oft ausgesprochen und immer abgelehnt. Andere in der Stadt mochten es hinnehmen, dass er sich absonderte, Chula hingegen konnte das nicht. Die Erinnerung an seine Küsse, seine Hände, die sie so wunderbar berührt hatten, konnte sein abweisendes Verhalten nicht auslöschen. Was sie miteinander geteilt hatten, gehörte der Vergangenheit an, nicht aber ihre Zuneigung für ihn.
    »Ich hab zu tun, Chula, trotzdem vielen Dank.«
    »Raymond, wir kennen uns schon lange. Ich weiß, du trauerst um Antoine, aber du kannst so nicht weitermachen. Dein Bruder würde es nicht wollen.«
    In seinen dunklen Augen funkelte etwas auf. Er war also nicht ganz tot. Noch nicht. »Du hast nicht die geringste Ahnung, wovon du sprichst, Chula. Kümmere dich um deinen eigenen Kram.«
    Er bückte sich, um Henris schlammverkrusteten Hut aufzuheben.
    »Früher hast du es zu schätzen gewusst, wenn ich offen sage, was mir auf dem Herzen liegt.« Sie sprach sehr leise und erinnerte sich an jenen Nachmittag im Sommer, als er ihr in ihrem schattigen Garten erzählt hatte, dass er zur Army gehen würde und nach seiner Rückkehr Journalist werden wollte. »Der Krieg hat sich deinen Bruder geholt, aber du selbst bist es, der es zulässt, dass er dir auch deine Träume nimmt.«
    Er starrte sie durchdringend an. Ja, es stimmte, seine einst goldbraunen Augen hatten sich fast gänzlich schwarz verfärbt. »Die Vergangenheit ist tot, Chula. Und mit ihr der Mann, den du gekannt hast. Lass das, was von ihm noch übrig ist, in Ruhe.«
    Er trug den Hut zum Streifenwagen. Chula spürte den Blick des Sheriffs, der auf ihnen beiden lastete. Es wäre das Beste, wenn sie jetzt ginge, aber sie konnte nicht. Sie hatte Mrs. Thibodeaux zwei Briefe zugestellt, den ersten vergangenen November, der von Antoines Tod in einer kleinen Ortschaft berichtete, einem Dorf, das für keine der beiden Armeen von Bedeutung gewesen war. Antoine war der jüngste Sohn gewesen, der Charmeur in einer Familie, die einige attraktive Männer hervorgebracht hatte.
    Ein halbes Jahr später hatte sie an einem schönen Maimorgen, an dem in den Hecken die Drosseln sangen, den zweiten Brief gebracht. Mit unbewegter Miene hatte Mrs. Thibodeaux die Tür geöffnet. Sie hatte den Umschlag aufgerissen, das Schreiben gelesen, hatte mit einem Ausdruck wütenden Schmerzes Chula angesehen und dann die Tür zugeschlagen und verriegelt.
    Zwei Monate später war Raymond nach Hause zurückgekehrt. Ohne Krücken hatte er sich nicht fortbewegen können, nach einigen Wochen benutzte er einen Stock. Als er den nicht mehr brauchte, heftete er sich das Deputy-Abzeichen an die Brust.
    »Raymond, es gibt Menschen, denen du nicht gleichgültig bist, wenn du es nur zulassen würdest. Ich erinnere mich …«
    »Nein. Lass das Erinnern, Chula. Die
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