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Im Nebel eines neuen Morgens - Kriminalroman

Titel: Im Nebel eines neuen Morgens - Kriminalroman
Autoren: Bastei Lübbe
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Vergangenheit ist wie ein Traum. Sie existiert nur in der Erinnerung, und manchmal ist es besser, wenn man von ihr lässt.« Damit marschierte er davon.
    Chula stapfte durch den zähen gelben Schlamm zu ihrem Wagen, setzte sich ans Steuer und sah zu, wie Raymond mit dem Sheriff redete.
    Henri Bastion war tot, und nach allem, was sie gehört hatte, war er gewaltsam gestorben. Wie dumm. Wenn jemand schon einen gewaltsamen Tod sterben wollte, könnte er es leichter haben, wenn er zur Army ging. Es gab noch immer genügend deutsche und japanische Kugeln. Warum also hier?
     
    Raymond stieg vor dem Gefängnis aus dem Streifenwagen und sah dem Sheriff hinterher, der dem Wagen mit Henris Leichnam zum Bestattungsinstitut folgte. Doc Fletcher würde direkt dorthin kommen, um sich den Toten anzusehen. Für Raymond die Gelegenheit, in der Zwischenzeit mit Adele Hebert allein zu sein. Er hatte ein wenig nachgeforscht. Adele, eine hart arbeitende Frau, hatte sich in die Sümpfe zurückgezogen, um dort ihre Zwillinge großzuziehen. Wer der Vater der Jungen war, wagte keiner auch nur zu mutmaßen. Hochschwanger war sie eines Tages in der Stadt aufgetaucht und hatte sich geweigert, den Namen des Vaters preiszugeben. Der Doc hatte sie mit Vitaminen und dem Ratschlag versehen, sich Ruhe zu gönnen. Nur einmal hatte sie ihn aufgesucht und dann, soweit man wusste, die Kinder allein zur Welt gebracht.
    Ihre Eltern waren bereits tot; ihr Vater war in den Gewässern des Golfs ums Leben gekommen, ihre Mutter acht Jahre zuvor an einer Infektion gestorben. Es waren nicht viele Informationen, und nichts davon erklärte, warum sich Adele für einen loup-garou hielt oder warum bei ihrer Schwester die Wundmale aufbrachen. Raymond betrat das Sheriffbüro und hoffte, Adele habe sich so weit erholt, dass sie ihm seine Fragen beantworten konnte.
    Pinkney Stole erhob sich vor dem Kanonenofen. Der alte Schwarze sah zu Raymond und wartete auf Anweisungen.
    »Sie murmelt nur vor sich hin«, sagte er. »Redet vom Mond und so. Ergibt alles kein bisschen Sinn.«
    Raymond zog einen Vierteldollar aus der Hosentasche. »Würdest du uns Kaffee holen, Pinkney? Aber lass dir ruhig Zeit. Sag Mrs. Estella, sie soll dir einen Kuchen geben.« Er warf dem Alten die Münze zu, der sie mit einem zahnlosen Grinsen auffing. Pinkney hing im Gefängnis herum, weil er sonst keinen anderen Schlafplatz hatte. Seine Anwesenheit war wie die eines alten Hundes, manchmal beruhigend, manchmal störend. Jetzt wollte Raymond mit der Gefangenen allein sein.
    Adele lag auf einer dünnen Drillich-Matratze, ein Arm war mit einer Handschelle ans Bett gefesselt. Es war nicht ersichtlich, ob sie sich bewegt hatte, seitdem er sie vergangene Nacht abgelegt hatte. Das sachte Heben und Senken ihres Brustkorbs verriet ihm, dass sie atmete.
    »Miss Hebert?«, sagte er leise und wunderte sich über seinen Wunsch, mit ihr so sanft wie möglich umzugehen. Nach wie vor gab es Augenblicke, in denen er von der Vergangenheit überrascht wurde und er sich unweigerlich die Frage stellte, welcher Mensch er hätte sein können. Augenblicke, die ihn immer teuer zu stehen kamen.
Als sie nicht reagierte, kehrte er mit einem Glas der von Madame Louiselle zubereiteten Medizin in die Zelle zurück. Er packte sie am Kiefer und öffnete ihr gewaltsam den Mund. Die Flüssigkeit schwappte zwischen ihren Lippen, aber sie schluckte nicht.
    Aus Angst, sie könnte ersticken, wenn sie flach auf dem Rücken lag, hob er ihren Kopf an, bis sie anfing zu schlucken. Ihre Haut fühlte sich kühler an, aber sie hatte immer noch Fieber. Er tränkte ein Tuch und legte es ihr auf die Stirn, so wie es seine Mutter immer getan hatte, als er noch ein Kind gewesen war. Sie stöhnte.
    Joe mochte sich einbilden, die Frau könnte von einem bösen Geist besessen sein, Raymond aber fürchtete viel Schlimmeres: Kinderlähmung. Die Krankheit geht mit hohem Fieber einher, Lähmung der Gliedmaßen bis zu Atembeschwerden können die Folgen sein. Das Gefängnis war kaum der richtige Aufenthaltsort für eine Kranke, aber kein Krankenhaus würde jemanden mit Polio aufnehmen, schon gar nicht eine mögliche Mörderin.
    Er wischte ihr den Mund ab und stand auf. Er war froh, dass der Sheriff und Pinkney von seiner Fürsorge für die Frau nichts mitbekamen. In der Welt, die er sich gewählt hatte, war für Freundlichkeiten kein Platz. Dafür hatte er gesorgt.
    Im Tageslicht betrachtete er Adeles Gesichtszüge, ihre tiefliegenden Augen und die leicht
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