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Olivia: Manchmal kommt das Glück von ganz allein (German Edition)

Olivia: Manchmal kommt das Glück von ganz allein (German Edition)

Titel: Olivia: Manchmal kommt das Glück von ganz allein (German Edition)
Autoren: Jowi Schmitz
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    Ich heiße Olivia, und das kann ich auch nicht ändern.
    Mein Zuhause ist ein Boot, das im Garten des Friseursalons meines Vaters steht. Ich bin elf, gehe in die fünfte Klasse und habe einen neuen besten Freund, der Sascha heißt.
    Im Moment ist bei uns alles nur vorläufig, das haben mein Vater und ich so ausgemacht. Wir sind nämlich auf Durchreise.
    Aber selbst auf Durchreise kann ein bisschen Ordnung nicht schaden. Bisher kriegen wir nur die Freitagabende richtig gut hin, an den übrigen Wochentagen müssen wir noch feilen.
    Jeden Freitagnachmittag gehe ich nach der Schule direkt zum Friseursalon. Mein Vater nimmt dann nicht, wie sonst, noch auf den letzten Drücker Kunden an. Und wenn doch, dann nur für Kleinigkeiten, zum Beispiel rasiert er einem Mann, der seine Frau überraschen möchte, den Schnauzer ab. »Männer müssen ihre Frauen überraschen können.« Aber nicht gleich zwei, drei oder fünf Männern, wie sonst.
    Am Tag vorher überprüfe ich immer unsere Vorräte, und mein Vater darf danach keine Milch mehr trinken. Natürlich könnte ich jederzeit im Laden neue holen, aber es ist schöner, wenn es genau aufgeht. Als würde die Milch extra auf diesen Moment warten.
    Mein Vater setzt seine Kochmütze auf und ich meine. Alles, was wir brauchen, liegt an Deck. Jeder schnappt sich einen Teigschaber und ein Ei, und dann schütten wir mit rasender Geschwindigkeit Mehl, Butter, Zucker, Milch, Zimt und Backpulver in eine Schüssel. Es staubt wie wahnsinnig, und hinterher sind wir von oben bis unten vollgekleckert. Das ist der Sinn der Sache.
    Zuletzt gießt mein Vater einen Schluck von seinem Bier dazu. Dann schütten wir den Teig in eine Kuchenform und stellen sie in den kleinen Elektrobackofen in der Kajüte.
    Danach setzen wir uns wieder an Deck.
    Am Freitagabend reden wir nicht viel. Mit Absicht. »Es wird früh dunkel, oder?«, sagen wir und: »Ziemlich kühl, zum Glück gibt es keine Mücken.« Ich hole meinem Vater seine Jacke und er mir meine.
    Wir malen uns aus, was wir im Frühjahr sagen könnten. Zumindest, wenn wir noch hier sind. »Schön warm isses, oder?« und »Es gibt ja gar keine Mücken, herrlich.« Und insgeheim hoffe ich, dass ich mich dann auch noch so eng an meinen Vater kuscheln darf.
    Wir lauschen dem Wind, der am hohen Gartenzaun rüttelt. Mit einer übertriebenen Geste hält mein Vater den Finger in die Luft und sagt: »Der Wind dreht auf Ost, jetzt muss der Winter doch fast vorbei sein.«
    Im Tonfall meiner Mutter sage ich: »Stell disch nisch so an, John.«
    So heißt mein Vater, und wenn ich: »Stell disch nisch so an, John« sage, muss er furchtbar weinen. Das hört sich schlimmer an, als es ist, mein Vater ist nämlich ein ziemlicher Jammerlappen.
    Selbst als es noch keinen Grund dafür gab, brach er wegen jeder Kleinigkeit in Tränen aus. Wenn ich ihm eine selbst gepflückte Blume schenkte zum Beispiel – zack, hatte er Tränen in den Augen. Oder als ich laufen lernte. Da weinte er bei jedem Schritt, hat meine Mutter erzählt.
    Bei uns in der Familie finden wir Tränen nicht schlimm. Es gibt ja auch Familien, in denen nicht geweint werden darf, aber bei uns ist das anders.
    Ich weine übrigens nicht, aber es ist ja auch kein Zwang. Wir sehen das nicht so eng. Außerdem weint mein Vater genug für uns beide.
    Wenn wir den Kuchen riechen, springe ich auf. Kurz bevor die Eieruhr schrillt. Ich renne schnell übers Deck und steige durch die Luke ins Innere des Bootes. Gleich darauf komme ich mit dem Kuchen zurück.
    »Herrlich!« und »Fantastisch!« und »Du hast dich selbst übertroffen!«, rufen wir. Nach zwei Kuchenstücken für jeden kuschle ich mich eng an den warmen Kugelbauch meines Vaters, und zusammen betrachten wir den Himmel über den Häusern.
     
    Am nächsten Tag sind unsere Probleme wieder da. Genau deswegen hasse ich sie: Weil sie so hartnäckig sind.
    Das größte Problem ist, dass meine Mutter tot ist.
    Das zweitgrößte, dass mein Vater gerade keinen Durchblick hat.
    Das ist natürlich okay, aber es bringt eine Menge Durcheinander mit sich. Und ich muss es dann wieder in Ordnung bringen, dabei bin ich erst elf.
    Dazu kommen ein paar kleinere Probleme: Das Boot ist nicht groß, wir haben nicht viel Geld, und mein Vater ist Herrenfriseur. Er kann Frauen nicht die Haare schneiden, also steht ihm nur die halbe Weltbevölkerung als Kundschaft zur Verfügung. Zum Glück gibt es hier am Stadtrand eine Menge Männer, die sich gern den ganzen Tag rasieren und
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