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Olivia: Manchmal kommt das Glück von ganz allein (German Edition)

Olivia: Manchmal kommt das Glück von ganz allein (German Edition)

Titel: Olivia: Manchmal kommt das Glück von ganz allein (German Edition)
Autoren: Jowi Schmitz
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gibt es oft kein Wasser, deswegen habe ich mir die Haare zum Knoten eingedreht und sie mit einem Gummi zusammengebunden.
    Es gab noch einen anderen Grund für den Haarknoten, aber den verrate ich nicht.
    »Wie heißt du?«, fragte Sascha.
    »Olivia.«
    Er verzog keine Miene. »Ich heiße Sascha und bin sehr reich. Also. Von solchen Stiften habe ich noch viel mehr.«
    Er riss sogar ein Blatt aus seinem Heft und gab es mir, weil ich außer meinem TRESemmé-Heft nichts dabeihatte und mir das auf keinen Fall mit Unterrichtsnotizen verderben wollte.
    Sascha sah haarscharf über mich hinweg, wenn er mit mir redete. »Ich bin sehr reich, und wir haben ein sehr großes Haus und einen Garten mit zwei Riesenhunden, Sabber und Barsch.«
    »Ich lebe auf einem Boot in einem Garten«, sagte ich. Er nickte. Fast hätte ich hinzugefügt, dass meine Mutter tot war, aber das fand ich dann doch ein bisschen übertrieben fürs erste Kennenlernen.
    Genau wie Sascha konzentrierte ich mich beim Reden auf einen Punkt über seinen Augen. Er hatte einen Igelhaarschnitt, seine braunen Haare waren steif vom Gel. Sascha, sagte ich im Stillen, Sascha. »Such dir jemanden aus und freunde dich mit ihm an«, hatte mein Vater gesagt. »Ganz einfach: Man sucht sich jemanden aus und gibt sich Mühe.« Mit Sascha wollte ich mir gern Mühe geben, beschloss ich. Obwohl er mich nicht ansah.
    »Nun denn«, sagte die Lehrerin und klatschte in die Hände, »wir fangen an.«
    Kaum hatte sie das gesagt, ging die Tür auf. Die Frau mit der roten Brille von vorhin kam herein. Sie schaute finster drein.
    »Ist Olivia Marenburg hier?«
     
    Kurz nach dem Tod meiner Mutter hatte mein Vater gesagt: »Jede Jahreszeit muss einmal verstrichen sein.«
    »Und dann?«
    »Tut es weniger weh.«
    »Und was machen wir so lange?«
    Er hatte kurz überlegt. »Abwarten. So wie man sich bei Regen unterstellt.«
    »Und das machen wir also in der neuen Stadt?«
    »Genau.«
    Wir hatten im Boot gesessen und Kleider sortiert. Mein Vater sagte, sie würden uns die Asche »nachsenden«.
    Die Asche dürfe sowieso erst nach einem Monat verschickt werden. »Das ist Vorschrift«, sagte mein Vater.
    Wir hatten beide einen Karton zwischen den Beinen, aus dem wir Kleider herausnahmen. Ich stapelte meine Jeans und T-Shirts ordentlich auf dem Boden, mein Vater legte seine Klamotten in die Kombüse. Das ist Schiffersprache für Küche. Er war der Meinung, dass wir keine Kombüse brauchten. »Im Friseursalon ist eine Küche. Hier reicht der kleine Ofen.«
    Neben meinen Kleidern stand ein Karton, den wir nicht auspackten. Darin war das rote Kleid meiner Mutter. Ein ganzer Karton nur für das Kleid.
    Obwohl unser Haus ohne meine Mutter sehr leer war, fand ich es schade, dass wir ausgezogen waren. Seit Mama krank geworden war, hatten wir oft bei Oma und Opa gegessen. Das Essen war zwar manchmal angebrannt, und wegen Opa hatten wir uns am Sonntag »fein anziehen« müssen, aber ich war trotzdem gern da gewesen. Besonders, weil mein Vater sonst immer nur weinte. Ich meine, wir sind zwar eine tolerante Familie und finden es nicht schlimm, wenn jemand hin und wieder mal weint, aber das ewige Schluchzen geht einem doch irgendwann auf die Nerven.
    Ich hatte gehofft, wir würden zumindest noch auf die Urne warten. Aber mein Vater hatte gesagt, er könne nicht länger warten.
    »Findest du es schlimm, wenn wir gleich wegziehen? Ich möchte so gern weg.«
    »Natürlich nicht«, sagte ich.
    Ich hatte noch nie an einem anderen Ort gewohnt, immer nur in dem kleinen Dorf in Friesland. Wir wohnten um die Ecke vom Haus der Eltern meiner Mutter. Soviel ich wusste, hatte mein Vater keine Eltern. Jedenfalls sprach er nie von ihnen.
    Meine Großeltern waren in das Dorf gezogen, als meine Mutter ein Teenie war, aber sie wurden immer noch die »Neuen« genannt. Als wären sie erst gestern angekommen. Ich bin in dem Dorf geboren und kenne alle Kinder dort, doch die meisten gehörten einer strengen Kirchengemeinde an und durften nicht mit mir spielen. Die anderen Dorfbewohner fanden uns seltsam: eine Mutter, die Schriftstellerin war, und ein Vater, der Haare schneidet. Überhaupt hatten wir nur so viele Kunden und Freunde, weil mein Vater ein sehr guter Friseur ist und meine Mutter im ganzen Land Leute kannte.
    Bis dahin hatte ich es nicht schlimm gefunden, als seltsam zu gelten. Wir waren eine Familie – eine Familie, die sich aus so was nichts machte. Aber zu zweit ist man keine Familie mehr, eher ein trauriges Duo.
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