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Olivia: Manchmal kommt das Glück von ganz allein (German Edition)

Olivia: Manchmal kommt das Glück von ganz allein (German Edition)

Titel: Olivia: Manchmal kommt das Glück von ganz allein (German Edition)
Autoren: Jowi Schmitz
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weißblondes Haar und ihre dünnen, braun gebrannten Arme und Beine lugten immer aus ihren kurzen Kleidern heraus. Erst wenn es richtig kalt wurde, zog sie eine Strumpfhose und einen Mantel an.
    Im Gegensatz zu ihr trug ich immer Jeans. Wer schon mal im Kleid über einen Graben gesprungen ist, weiß warum.
    Manchmal fuhren Autos vorbei, und Nettie fragte: »Wo wollen die Leute nur alle hin auf dieser Welt?« Dann schlenkerten wir mit den Beinen. Vor und zurück, Boink, Boink, Boink gegen den Stromkasten.
    Einmal hatte ich sie gefragt, ob sie glaube, dass man jemand anders als man selbst werden konnte. Nicht weil ich das wirklich wollte, es war mir nur ein Rätsel, ob das überhaupt ging. Ob es möglich war, die Welt dadurch ein ganz kleines bisschen zu verändern.
    Nettie ließ es sich durch den Kopf gehen. Wir schlenkerten mit den Beinen.
    Schließlich sagte sie: »Fang doch einfach an zu üben.« Simpel, aber genial! Anfangen konnte ich. Darin war ich schon immer groß gewesen.
    Mit Nettie hätte ich über die Urne meiner Mutter reden können. Aber sie war von einem Tag auf den anderen weggezogen, genau zu dem Zeitpunkt, als meine Mutter begann zu sterben. Ich rief sie noch einmal an, aber das ging nicht so gut. Am Telefon konnte ich sie nicht sehen, nicht ihre braun gebrannten Arme, ihre weißblonden Haare, ihre Augen, die in die Ferne starren.
    Ich hatte gemerkt, dass am Telefon zu schweigen etwas ganz anderes ist als nebeneinander auf dem Stromkasten sitzend zu schweigen.
    Jetzt versuchte ich mich zu erinnern, wie Nettie und ich Freundinnen geworden waren. Wir hatten über dieselben Dinge lachen müssen, vielleicht hatte es so angefangen. Also dachte ich mir morgens witzige Geschichten aus, um sie Sascha zu erzählen, aber kaum hatte ich mich neben ihn gesetzt, dachte ich: doof. Oder: Nee, lieber doch nicht. Manchmal hob Sascha dann den Kopf und fragte: »Was?«, und ich: »Nichts.« Oder ich zuckte die Schultern. Als wäre er ein Berg und ich hätte keine Kletterausrüstung dabei.
    Doch ich freute mich über meinen Stift. Ich benutzte ihn sogar für mein TRESemmé-Heft. Das erzählte ich Sascha nicht, noch nicht, aber wenn wir besser befreundet waren, könnte ich es ihm ja sagen. Dass er aus meiner Sicht schon viel länger mein bester Freund war. Dass es schon mit dem Stift angefangen hatte, den er mir geschenkt hatte.
     
    Am Freitagnachmittag meiner ersten Schulwoche musste ich nachsitzen. Wegen dem Kuchen wäre ich am liebsten gleich nach Hause gerannt, doch meine Matheaufgaben waren alle falsch gewesen. Deshalb sei es wichtig, dass ich ein paar Zusatzaufgaben mache, sagte Jenny. Noch mehr Aufgaben!
    Während sie mir alle meine Fehler erklärte, nickte ich vor mich hin und dachte: Es ist alles vorläufig. Jenny weiß das nicht, aber ich brauche keine neue Rechenmethode zu lernen, weil wir sowieso bald wieder weg sind. Es ist Ende Februar. Vielleicht noch bis zum Frühjahr. Nicht länger.
    »Verstehst du?« Jenny sah mich freundlich an und fügte hinzu, als wäre das ganz normal: »Aber du hast es ja auch nicht leicht mit deiner Mutter und so.«
    Als hätte mir jemand einen Eimer eiskaltes Wasser über den Kopf geschüttet. Mein Vater hatte es natürlich Olga erzählt und die wiederum Jenny. Ich malte mir aus, wie sie im Gang vor dem Lehrerzimmer miteinander tuschelten.
    »Diese Olivia, die hat es ja auch nicht leicht mit ihrer Mutter und so.«
    Jenny sah mich erwartungsvoll an, als würde ich gleich vor Freude einen Luftsprung machen: »Juhu, super Thema, das müssen wir sofort ausdiskutieren. Komm, wir erzählen allen, dass meine Mutter tot ist!« Nein. Niemals.
    Ich stand auf. »Ich danke Ihnen«, sagte ich statt: »Danke, Jenny«, und war schon aus dem Klassenzimmer gerannt, ehe sie noch ein Wort sagen konnte. Ich rannte in einem Mordstempo um eine Ecke und noch eine und in einen anderen Gang, und am Ende musste ich wohl oder übel stehen bleiben, weil ich keine Luft mehr bekam. Ich ließ mich gegen eine Wand mit Garderobenhaken fallen. Ein Haken stach mich in den Rücken. Augen zu, tief Luft holen. Aber nicht zu lange stehen bleiben. Sonst würde das Meer mich einholen. Weiter rannte ich. Die Schule war leer. Meine Schritte hallten im Gang, ich wusste nicht, wo ich mich befand. Es stank nach bescheuerten Kindern.
    Ich sah eine Tür nach draußen, aber es war nicht der normale Ausgang. Hinter mir hörte ich ein Klicken und drehte mich um. Ich war gerade durch eine Tür gegangen, die jetzt ins Schloss
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