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Olivia: Manchmal kommt das Glück von ganz allein (German Edition)

Olivia: Manchmal kommt das Glück von ganz allein (German Edition)

Titel: Olivia: Manchmal kommt das Glück von ganz allein (German Edition)
Autoren: Jowi Schmitz
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sodass das Ohr fast doch noch dran glauben musste.
    Ich ging in die Küche, im Kühlschrank war eine Menge Milch für den Kuchen. Ein gutes Zeichen. Außerdem gab es eine Tüte Schokoplätzchen, wahrscheinlich ein Geschenk von einem Kunden. Ich kostete eins und beschloss, dass die Schokoplätzchen prima zum Kuchen passen würden. Ein paar könnten wir sogar in den Teig tun. Dann würde unser Freitag einmal im Monat zu einem »besonderen Freitag« werden. Diese Woche mit Schokoplätzchen und das nächste Mal vielleicht mit Marshmallows.
     
    Mit Simon hatte ich in Friesland auch einmal einen Marshmallowkuchen gebacken. Simon arbeitete bei einem Bestattungsunternehmen und hatte vor allen Leuten Angst. Wenn man nur Hallo sagte, rannte er schon weg.
    Zuerst fand ich ihn bescheuert, aber meine Mutter meinte, die meisten Menschen würden sich vor den falschen Dingen fürchten. Davor, von einem Werwolf totgebissen zu werden zum Beispiel, oder vor irgendwelchen ungeheuerlichen Katastrophen – vor Dingen also, die im normalen Leben gar nicht vorkommen. An sich wäre es vernünftiger, vor Menschen Angst zu haben. »Die können einem Schmerzen zufügen.«
    »Soll ich jetzt auch Angst vor Menschen bekommen?«, fragte ich.
    »Ganz bestimmt nicht«, sagte sie lachend. »Am besten ist es, keine Angst vor Schmerzen zu haben.«
    Eines Tages war meine Mutter auf Simon zugegangen und hatte ihm etwas ins Ohr geflüstert. Er hatte sie fragend angesehen, sie flüsterte noch etwas, und da lächelte er ein bisschen. Es war das erste Mal, dass ich ihn lächeln sah; er hatte ziemlich lange Schneidezähne. Immerhin war er nicht geflüchtet, das war schon ein Fortschritt, und als meine Mutter wieder weggegangen war, hatte er ihr nachdenklich hinterhergeschaut.
    »Was hast du ihm gesagt?«, fragte ich, sobald sie wieder bei mir war, doch sie wollte es mir nicht verraten.
    Danach freundeten wir uns allmählich mit Simon an. Er half im Haushalt aus, als meine Mutter gerade krank geworden war und mein Vater noch zu sehr mit seiner Arbeit beschäftigt. Zu der Zeit backten wir den Marshmallowkuchen. Wir mischten einfach nur Marshmallows in den Teig. Mehr rosafarbene als weiße, weil ich die weißen schon fast aufgegessen hatte.
    Bei der Trauerfeier hatte mein Vater schluchzend zu Simon gesagt: »Wie kann ich dir jemals danken?«
    »Bedanke dich bei deiner Frau«, hatte Simon geantwortet und war sofort rot geworden, weil das ja nicht mehr ging.
     
    Ich aß noch ein Schokoplätzchen. Im Friseursalon hörte ich Musa fragen, ob mein Vater gleich noch Zeit für einen seiner Freunde hätte. Musa war eine wandelnde Werbetafel für meinen Vater. Seit er Kunde war, kamen immer mehr Freunde von ihm in den Salon. Deshalb durfte Musa andauernd über Schnurrbärte und Geld reden, obwohl Letzteres meinen Vater überhaupt nicht interessierte. »An Geld sollte man erst denken, wenn man keins mehr hat«, sagt er immer. Aber er sagt auch: »Es ist gut, wenn der Laden läuft«, weil Herrenfriseure nämlich günstiger sind als Damenfriseure und dementsprechend mehr Kunden brauchen. Meistens sagt mein Vater Ja, wenn Musa ihn fragt, ob er noch Zeit hat, doch da hörte ich ihn sagen: »Nein, mein Freund, ich backe jetzt mit meiner Tochter einen leckeren Kuchen.« Ich nahm mir noch ein Schokoplätzchen.

 
    4
     
    Vorläufigkeit hat auch gute Seiten, dachte ich an diesem Abend. Vollgestopft mit Kuchen und Schokoplätzchen lag ich auf dem Rücken im Bett, während mein Vater noch im Friseursalon aufräumte. Ich malte mit den Zehen Kreise an die Decke, die ich berühren konnte, wenn ich die Beine ausstreckte. Dabei hörte ich, wie die Seile im Wind gegen den Mast schlugen. Immer wenn meine Mutter auf dem Boot war, hat sie gesagt: »Hier gehöre ich hin.« Besonders oft war sie aber nicht da. Wir wollten eigentlich viel häufiger segeln gehen, aber das klappte irgendwie nicht. Irgendein Kopf oder Bart wartete immer auf meinen Vater, oder meine Mutter musste noch etwas fertig schreiben. Aber in Friesland lag das Boot in der Nähe unseres Hauses vor Anker, also gingen wir nachmittags öfter hin und legten uns einfach nebeneinander aufs schmale Deck. Und ließen uns wiegen.
    »Es macht nichts, dass wir nicht segeln«, sagte meine Mutter dann, »trotzdem ist es gut, dass wir das Boot haben und segeln könnten, wenn wir wollten.«
    Meine Mutter mochte das Krachen und Knarzen auf dem Segelboot. Denn es kracht und knarzt immer irgendetwas. Es ist nicht beängstigend, sondern
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