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Olivia: Manchmal kommt das Glück von ganz allein (German Edition)

Olivia: Manchmal kommt das Glück von ganz allein (German Edition)

Titel: Olivia: Manchmal kommt das Glück von ganz allein (German Edition)
Autoren: Jowi Schmitz
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Glücksjacke, wusste aber nicht, ob die Wirkung für eine ganze Schulklasse auf einmal ausreichen würde. Zur Sicherheit sagte ich gleich noch mal: »Hallo.«
    Die Klasse antwortete nicht.
    Jenny zeigte auf zwei kleine Tische neben der Tür. An einem von ihnen beugte sich ein Junge über sein Heft. »Setz dich ruhig neben Sascha«, sagte sie. Im Klassenzimmer standen jeweils zwei Tische nebeneinander, und außer Sascha sahen mich alle Kinder an den Tischen an. Der Platz gefiel mir: Ich brauchte nur ein paar Schritte zur Seite zu gehen und nicht an allen Augen vorbei.
    Höflich sagte ich: »Vielen Dank.«
    »Achtung, der furzt«, rief ein Mädchen mit blondem Engelshaar, das auch vorn saß, aber am anderen Ende des Raums.
    »Ruhe, Milena!«, sagte Jenny. Trotzdem lachten alle.
    Ein furzender Tischnachbar, dachte ich, auch das noch.
    Weil ich mir Zeit ließ, sagte die Lehrerin: »Keine Angst, er beißt nicht«, und wieder lachte die ganze Klasse.
    Jenny sagte noch ein paarmal, es sei schon merkwürdig, dass ich »nicht auf der Klassenliste« stehe, doch ich versicherte ihr, dass mein Vater bereits angerufen habe. Und fügte hinzu, dass ich für mein Alter sehr jung aussehe. Dann hatte ich das gleich hinter mir.
    Ich sagte auch, bald würde sich alles klären. Das stimmte zwar nicht, aber es war immerhin nicht gelogen. Denn dass sich bald alles klären würde, hoffte ich wirklich.
    Meine Mutter hätte es wahrscheinlich »flunkern« genannt, doch ich bin nicht ganz sicher. Als sie mir den Unterschied zwischen Flunkern und Lügen erklärte, war ich klein, sieben Jahre alt oder so. Und sie hat sich nicht immer deutlich ausgedrückt.
    Damals hat sie gesagt: »Manchmal darf man flunkern, jedenfalls, solange man es selbst weiß.«
    »Warum?«, fragte ich.
    Was ich meinte, war: Warum muss ich wissen, dass ich flunkere? Dann macht es doch viel weniger Spaß. Und es wird komplizierter, weil man eine Sache sagt, aber gleichzeitig wissen soll, dass man eine andere Sache denkt.
    Meine Mutter lachte. Sie sagte, wenn man lüge, ohne es selbst zu wissen, glaube man eigentlich, dass es die Wahrheit sei.
    Ich weiß noch, dass sie sich gerade mit einem Stift in der Hand über ein Buch beugte. Den Stift steckte sie manchmal aus Versehen verkehrt herum in den Mund, und dann hatte sie blaue Lippen. Meine Mutter war nämlich Schriftstellerin. Ich beugte mich auch über das Buch, um sie besser verstehen zu können. Sie gab mir einen Kuss auf die Wange.
    »Flunkern ist also erlaubt?«, fragte ich.
    Sie hatte genickt. »Manchmal. Wenn du dir keine Blöße geben willst. Dann darfst du Dinge sagen, von denen du weißt, dass sie nicht wahr sind. Darfst andere an deine Lügen glauben lassen. Aber nur solange du weißt, dass sie nicht wahr sind. Wenn du es nämlich vergisst, gibt es niemanden mehr, der den Unterschied zwischen deiner Wahrheit und deiner Lüge kennt.«
    Das war viel zu kompliziert für ein kleines Mädchen, aber vergessen habe ich ihre Erklärung nie. Vielleicht habe ich sie mir einfach für später aufgehoben.
     
    Auf den ersten Blick war ich in einer echt bescheuerten Klasse gelandet. Es gab sehr viele Mädchen und nur wenige Jungs, und dabei kam ich mit Jungs eigentlich besser aus. Mädchen haben so was Zickiges, das ich gar nicht mag. Man kann ihnen nicht mal auf die Füße treten und sich danach einfach entschuldigen. Jedes Mal muss erst geheult und dann geredet werden. Und wenn man sich ausgeredet hat, kneifen sie einen trotzdem heimlich.
    Im schlimmsten Fall gehe ich eben wieder weg, dachte ich. Ich hatte so schon genug Probleme, da waren eine bescheuerte Klasse und ein furzender Junge wirklich das Letzte, was ich gebrauchen konnte.
    Doch in dem Moment sagte Sascha: »Hallo.«
    »Hallo«, antwortete ich.
    Er schob mir einen Stift zu. »Da«, sagte er, »der schreibt richtig gut. Also.«
    »Ein neues Pärchen!«, höhnte das blonde Mädchen.
    »Jaha«, johlte die Klasse.
    »Halt den Rand, Milena«, rief Jenny.
    Natürlich war das dümmste Mädchen der Klasse gleichzeitig das Schönste. Milena hieß sie also. Sie hatte große Mandelaugen, und mutig war sie auch: Traute sich, Jenny zu unterbrechen, die jedes Mal »Halt den Rand, Milena«, rief, was aber nicht sehr überzeugend klang. Milena kicherte dann immer nur, und ihr blond gelocktes Haar wippte auf und ab.
    Zufällig habe ich mir immer weißblonde Engelslocken gewünscht, doch meine Haare sind braun und ein bisschen strähnig. Es klingt vielleicht unlogisch, aber in Booten
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