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Im Namen des Kreuzes

Im Namen des Kreuzes

Titel: Im Namen des Kreuzes
Autoren: Peter Probst
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das, was mich damals am meisten bewegt und erschüttert hat, im Dunkeln gelassen.
    Anonyme Morddrohungen, die ich während der letzten Tage erhalten habe, zeigen mir, dass meine Angst begründet war. Die Drohanrufe haben übrigens nach einem vertraulichen Gespräch mit meinem Dekan, Peter Wels, begonnen. Ich möchte ihn nicht verdächtigen, aber möglicherweise hat er unbedacht Informationen weitergegeben.
    Du erinnerst Dich, Alfred, dass ich während des Aufenthalts bei Dir zweimal im Kloster war, um für meine enttäuschten Ministranten wenigstens etwas für das folgende Jahr zu erreichen. Du hast sicher auch bemerkt, wie aufgewühlt ich von diesen Besuchen zurückgekehrt bin. Ich hatte mit dem Prior von St. Joseph verhandelt und beim zweiten Mal auch mit dem italienischen Erzabt des ›Militia‹-Ordens.
    Im Kloster sollte ich wohl ausschließlich das Büro des Priors zu sehen bekommen, zu dem mich zwei junge Fratres eskortierten. Doch auf dem Weg dorthin begegneten wir einer Gruppe seltsam verängstigter Jungen, die von ihren Betreuern wie Rekruten in einer Kaserne des 19. Jahrhunderts behandelt wurden. Auch bei meinem zweiten Besuch sah ich einige der Jungen, die dem Orden, wie ich inzwischen herausgefunden habe, durch überregionale Stellen zugewiesen werden. Mich beschlich der Verdacht, dass die ›Sancta Militia Jesu‹ sie nicht zu stärken, sondern zu brechen versucht.
    Noch erschrockener war ich, als ich während des Gesprächs im Büro des Priors plötzlich ein bekanntes Gesicht sah: Manfred Dahlke. Ich weiß nicht, ob Dir dieser inzwischen entlassene Kollege je über den Weg gelaufen ist. Er ist ein übler Kinderschänder, der in mehreren Pfarreien sein Unwesen getrieben hat. – Und so jemand findet bei einem Orden Unterschlupf, der sich um junge Menschen aus den schwierigsten Verhältnissen kümmern soll!
    Ich merkte, dass der Prior über Dahlkes kurzes Auftauchen sehr ungehalten war, und habe so getan, als hätte ich ihn wegen des Barts, den er jetzt trägt, nicht erkannt. Am selben Abend hast du eine Bemerkung über deinen Kommilitonen Anselm Schneider fallen lassen, der auch im Kloster lebt.
    Ich habe mich gefragt, ob es ein Zufall sein kann, dass ein Orden zwei bekanntermaßen pädophile Männer aufnimmt. Aber auch die verschlossenen Mienen der Jungen in St. Joseph und der rüde Umgang der Betreuer mit ihnen haben mir keine Ruhe gelassen.
    Ich wollte unbedingt mehr über die ›Militia‹ erfahren.
    Aber es waren nirgends Informationen zu finden, die über die Selbstdarstellung des Ordens hinausgingen. Daher habe ich mich mit meinen römischen Freunden in Verbindung gesetzt, die ich seit der Zeit an der ›Gregoriana‹ kenne. Einer von ihnen hat mich an Paolo Longanesi erinnert, einen flüchtigen Bekannten während des Studiums. Ich wusste nicht, dass er Mitglied der ›Militia‹ geworden war, den Orden aber nach einigen Jahren wieder verlassen hatte.
    Ich habe Paolo angerufen, und wir haben lange telefoniert. Zwei Tage später ist er von einem Kleintransporter überrollt worden, der Täter hat Fahrerflucht begangen.
    Was Paolo mir erzählt hat, hat meine schlimmsten Befürchtungen übertroffen. Es sei alles andere als Zufall, dass in St. Joseph Pädophile aufgenommen würden, sondern im Gegenteil Politik des Ordens. Die ›Militia‹ sei der Ansicht, dass ein Priester der katholischen Kirche grundsätzlich nur nach dem Kirchenrecht bestraft werden dürfe, und man ihn notfalls vor der Verfolgung durch die staatliche Justiz in Sicherheit bringen müsse. Nebenbei gewinne man so äußerst loyale Gefolgsleute. Der Orden sei im Übrigen so männerbündisch geprägt, dass sadistische Übergriffe an Zöglingen als Feuertaufe und Ritual zur Mannwerdung abgetan würden. Die ›Militia‹ begreife sich selbst als eine Armee Gottes, deren Aufgabe die Verteidigung des einzig wahren, katholischen Glaubens sei. Sie sähe sich in einem apokalyptischen Kampf zur Rettung der Kirche. Dafür sei nahezu jedes Mittel erlaubt. Vor allem versuche man, die Gesellschaft gezielt zu unterwandern. Laienbrüder der ›Militia‹ hätten inzwischen hohe Funktionen in Politik und Medien erobert, geistliche Brüder seien in der römischen Kurie in Schlüsselpositionen gelangt.
    Das ist es vermutlich, was diesen Orden so gefährlich macht: Er sieht eine realistische Chance, dass bei der nächsten Papstwahl eines seiner Mitglieder zum neuen Kirchenoberhaupt gekürt wird.
    Lieber Alfred, ich weiß, das alles ist schwer zu
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