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Im Mond des Styx - Lohmann, A: Im Mond des Styx

Im Mond des Styx - Lohmann, A: Im Mond des Styx

Titel: Im Mond des Styx - Lohmann, A: Im Mond des Styx
Autoren: Alexander Lohmann
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ging auf das Mädchen zu. Er scheuchte die Kinder fort, die die Fremde umringten wie ein Rudel Hunde. Mit beiden Händen fasste er das Mädchen unter den Achseln und hob es hoch. Er musterte es. Das Kind schaute ihm immer noch unverwandt in die Augen und gab keinen Laut von sich.
    »Es gehört zu keinem der Stämme«, stellte Gontas fest.
    Einige der Ältesten traten an Gontas’ Seite. Sie betrachteten das fremde, schweigsame Kind. Gontas konnte den Blick des Mädchens nicht abschütteln. Diese Augen … Nein .
    Er kam zu dem Schluss, dass das Mädchen um einiges älter sein musste, als er zunächst gedacht hatte. Es war nur ein wenig klein geraten und mager, und eindeutig war es zu lange unterwegs gewesen.
    Aber ob es nun sechs Jahre alt war oder zehn, es war auf jeden Fall zu jung, um allein durch das Buschland zu wandern.
    »Womöglich kommt es aus den Städten«, sagte Ochos. »Die Frauen der Khâl tragen seltsame Kleider, so heißt es.« Er sah Gontas an, der schon einmal in den Städten der Khâl gewesen war.
    Der zuckte die Achseln. »Schon möglich«, sagte er, auch wenn ihm nichts an der Kleidung des Kindes bekannt vorkam. Auch die Gesichtszüge, das Haar, die Hautfarbe unter der Sonnenbräune – es passte zu den Khâl so wenig wie zu den Stämmen des Buschlandes. Das Mädchen war ihm ein Rätsel. »Auf jeden Fall wird sie kaum allein von den Städten bis zu unseren Zelten gelaufen sein.«
    »Gewiss nicht.« Ochos grinste und entblößte dabei einige verfärbte Zahnstümpfe. »Nicht allein. Wir sollten nach Fremden in der Nähe Ausschau halten.«
    Gontas setzte das Mädchen wieder ab. Er legte ihm die Hand auf die Schulter. »Tu das«, sagte er zu Ochos. »Ich nehme das Kind in meinem Zelt auf, bis wir mehr wissen.«
    »Du?« Ochos klang entsetzt. »Das geht nicht!«
    »Wer will mich daran hindern?«, fragte Gontas. » Du? « Er musterte den Alten abschätzig.
    Makri Kamelschweif rang die Hände. »Du kannst das Kind nicht aufnehmen! Du hast dir bis jetzt ja nicht einmal eine Frau in dein Zelt geholt!«
    Makri war die älteste Frau der Sippe und inzwischen die Matriarchin. Gontas hielt sie für hysterisch. Was der Krieg übrig lässt … Aber er musste zugeben: Sie war die beste Geisterseherin, die der Stamm hatte.
    »Weib!«, fuhr Gontas sie an. »Ich will einem Kind in meinem Zelt Gastfreundschaft gewähren. Ich will kein eigenes Kind darin zeugen! Wozu bei allen Geistern sollte ich also eine Frau brauchen?«
    »Ein Krieger kann kein Kind aufziehen«, sagte Ochos. »Das ist gegen die Sitte.«
    Gontas hörte hinter sich ein Johlen. »Gontas will ein Kind an seinem Busen nähren. Wo sind seine Zöpfe?«
    Gontas erkannte die Stimme. Es war Nachab, das Büffelhorn. Gontas knirschte mit den Zähnen. Er wandte sich nicht um, aber er würde Nachab die Schmähung nicht vergessen.
    »Ich habe mich entschieden«, sagte er und musterte die ältesten finster. Er würde diesen Kampf gewinnen, so wie jeden anderen zuvor. Die Sippe war tot gewesen, bevor sein Ruhm neue Männer zu den Zelten geführt hatte – seine Männer, die im Krieg an seiner Seite gekämpft hatten und denen er Siege und Reichtum gebracht hatte. Allein seinetwegen war die Sippe heute die erste unter den Cefron.
    Und ob Krieg oder Frieden, er würde sich nicht führen lassen von Alten, denen er die Knochen brechen konnte, als wären es Eierschalen.
    »Sei vernünftig.« Ochos legte Gontas die Hand auf den Arm. »Das Mädchen ist ja nicht als Gast zu unseren Zelten gekommen. Es ist eine fremde Herumtreiberin, die wir auf unserem Land aufgegriffen haben.«
    Makri fing an, lauthals zu lamentieren: »Diese jungen Kühe!« Sie schaute die übrigen Frauen der Sippe an. »Warum haben sie das fremde Ding nur in unser Lager gebracht? Ein Geist der Zwietracht ist es, der Gestalt angenommen hat, um uns zu verderben. Das Gras wird verdorren unter unseren Füßen, die Brunnen werden trocken fallen. Unsere Herden werden tot daliegen mit aufgeblähten Leibern, wenn wir diesen Geist des Unheils nicht von unseren Zelten vertreiben. Schickt sie fort, bevor es zu spät ist!«
    Die Cefron murmelten unruhig. Auch Gontas fröstelte. Sprach Makri nun als Geisterseherin, oder war das nur das Geschwafel eines alten Weibes, das seinen Willen nicht bekommen sollte?
    Aber Gontas bemerkte noch etwas anderes: Zum ersten Mal zeigte das fremde Mädchen neben ihm eine Regung. Sie schaute Makri an, und Gontas las Furcht in ihrem Gesicht. Sie drückte sich Schutz suchend an seine
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