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Im Mond des Styx - Lohmann, A: Im Mond des Styx

Im Mond des Styx - Lohmann, A: Im Mond des Styx

Titel: Im Mond des Styx - Lohmann, A: Im Mond des Styx
Autoren: Alexander Lohmann
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Tageslicht nach den feinen Spuren, die jedes menschliche Leben hinterließ.
    Mit Einbruch der Dunkelheit fand er Sträucher mit Beeren, und im bernsteingelben Glanz des Styx und im Licht einiger kleinerer Monde sah er die Abdrücke bloßer Füße in der kargen Erde darum herum. Gontas folgte der Fährte über schmale Risse hinweg, er stieg über einen geborstenen Steinblock, dessen Trümmer weit verteilt am Berghang lagen, und dahinter fand er an einem Sims die Höhle des Nuatafib.
    Der Wahrsager saß davor und badete seinen nackten Leib im Licht der Gestirne. Es war ohne Zweifel das einzige Bad, das er in den letzten Jahren genommen hatte. Das fahle Haar hing wirr um seinen Körper, Schopf und Bart waren zu einer einzigen talgigen Masse verfilzt. Schmutz und die Falten des Alters zeichneten verschlungene Muster auf seine Haut, und der Geruch des dürren Greises hatte nichts Menschliches mehr an sich.
    Gontas stand einen Moment unschlüssig am Rand des Plateaus. Dann trat er beherzt vor den Einsiedler.
    »Nuatafib, ich suche deinen Rat.«
    Der Alte sah ihn nicht an. Seine Augen glänzten weiß und blind im Mondlicht. Aber er antwortete: »Warum sollte ich dir einen Rat geben, Gontas von den Cefron?« Seine Stimme klang überraschend deutlich durch die Nacht, wenn auch rau und immer schriller, bis sie am Ende in den Ohren schmerzte wie ein scharfer Wind. »Warum sollte ich dir einen Rat geben? Du bist nicht mit mir verwandt, und du hast viele Cyriaten erschlagen.«
    Gontas zuckte zusammen, vor dem Irrsinn in der Stimme und weil der Alte ihn beim Namen nannte, obgleich sie einander nie begegnet waren. Doch er versuchte, sich nichts anmerken zu lassen. »Ich habe Geschenke für dich.«
    Nuatafib streckte ihm die Hand entgegen, eine Hand, so lang und dünn wie die eines fleischlosen Toten. Als Nuatafib die Finger um die Gaben krümmte, knackten die Knoten an seinen Gelenken.
    »Getrocknetes Fleisch vom Hasen, Datteln und sogar Wein«, sagte Gontas. »Das gibt es nicht in dieser Gegend.«
    »Du hast recht, es gibt keine Datteln hier.« Der Alte kicherte und verbarg die Geschenke rasch in einem dunklen Winkel zwischen den Steinen. »Aber es gibt andere Dinge hier. Die Geister raunen in den Felsen. Und es gibt Harz, das beste Harz. Der Wind und die Bienen tragen es durch die Lüfte zu mir.«
    Er bedeutete Gontas, sich ihm gegenüber auf den Boden zu setzen. Dann entfachte Nuatafib ein Feuer aus dürren Zweigen, so schnell, dass Gontas kaum erkennen konnte, wie der Alte es zuwege brachte. »Es ist gut, dass du zu mir gekommen bist«, sagte Nuatafib, »denn deine Geschenke erfreuen mich.«
    Unvermittelt hielt der Alte einen Beutel in den Händen, und mit ausholender Geste warf er etwas in die Glut. Es knisterte, Holz barst. Die Rauchschwaden wurden dünner, aber sie bissen in Augen und Nase wie boshafte Schlangen. Ein Zischen stieg von den Flammen auf. Gontas spürte ein Prickeln hinter der Stirn, er sah Umrisse in dem Qualm, verfolgte, wie die kräuselnden Rauchfäden sich zu dünnen Schemen vereinten, verdrehte Formen, die beinahe menschlich anmuteten.
    »Jaaa …« Der Wahrsager auf der anderen Seite des Feuers keuchte verzückt. »Kommt, Geister! Erzählt mir eure Geschichte. Nuatafib hört euch, Nuatafib ist weit offen …«
    Gontas schreckte auf. »Meine Fragen. Ich habe meine Fragen noch gar nicht gestellt!«
    Nuatafib brachte ihn mit einem Blick zum Verstummen, mit einem Blick aus blinden weißen Augen, in denen das Feuer tanzte. Es sah so aus, als wäre der Greis größer geworden. Haut und Haar verschwammen, und er schien selbst in dem Rauch aufzugehen, der ihn umgab. Er wand sich in Ekstase.
    »Jaaa … Ich sehe etwas!«
    Wie aus weiter Ferne drang seine Stimme zu Gontas.
    »Ich sehe – einen alten Mann. Sein Bart ist weiß. Er trägt einen Kittel aus ungefärbtem Leinen. So würdevoll, würdevoll sitzt er in der Zitadelle am Ende der Welt, und sein Name, sein Name ist Israel.«
    Mit einem lang gezogenen Seufzer sank Nuatafib in sich zusammen. Binnen weniger Augenblicke erlosch das Feuer zu lebloser Asche, so grau und ausgebrannt wie der Hexenmeister, der es heraufbeschworen hatte.
    Gontas blinzelte. Er regte sich. Er fühlte sich, als wäre er aus einem Tagtraum gerissen worden, und er konnte nicht sagen, wie viel Zeit vergangen war.
    »Nuatafib?«, fragte er nach einer Zeit, die sich endlos dehnte.
    Der Alte hob den Kopf, aber er blieb stumm. Gontas spürte, wie Ärger in ihm aufstieg.
    »Das war alles?«
    »Das
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