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Im Mond des Styx - Lohmann, A: Im Mond des Styx

Im Mond des Styx - Lohmann, A: Im Mond des Styx

Titel: Im Mond des Styx - Lohmann, A: Im Mond des Styx
Autoren: Alexander Lohmann
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Beine.
    Gontas ballte die Faust. »Schluss jetzt«, knurrte er. »Sie ist jetzt unser Gast, denn ich habe ihr Gastfreundschaft angeboten. Und das Gastrecht ist heilig. Wer meinen Gast aus dem Zelt zerren will, ob mit Worten oder mit Taten, den werde ich erschlagen – ganz so, wie die alten Sitten und Gesetze es befehlen.
    Oder will jemand ein Urteil der Geister im Kampf erwirken? Nur zu. Ich stehe hier.«
    Einen nach dem anderen musterte Gontas die Männer seiner Sippe. Tagos, Ochos’ Sohn, straffte sich und suchte gleichfalls mit Blicken nach Verbündeten. Einige der Krieger fassten nach ihren Waffen, und keiner war sich des anderen sicher.
    Gontas legte beide Hände auf die Schultern des fremden Kindes. Er schob es auf sein Zelt zu und ließ das Lager hinter sich in eisigem Schweigen zurück. Misstrauen und ein ungestillter Hunger nach Gewalt schwebten fast greifbar zwischen den Zelten.
    Gontas lächelte.
    Alles in allem, befand er, konnte er zufrieden sein mit diesem Morgen. Seine Kopfschmerzen waren fort.
    Gontas nannte das Mädchen Halime. Sie sprach kein Wort, auch wenn Gontas ihr ansehen konnte, dass sie ihn verstand.
    Jeden Tag ging er mit ihr hinaus, vorbei an den Tieren, den Hunden, den Ziegen und den Dromedaren am Rande des Lagers und weiter in das Buschland. Die Cefron lebten im Norden, wo das Buschland bereits in die Steppe überging, hinter der sich das öde Steinland erstreckte. Hier wuchsen weniger Kriechranken als im Süden, es gab mehr freien Boden, aber auch viel ausgedörrtes und schlechtes Land.
    Heute wanderten sie am Rand eines trockenen Wadis.
    »Kennst du den Strauch?« Gontas ging neben der graubraunen Pflanze in die Hocke. »Wir Cefron nennen ihn Ashur oder Regenrose. Er ist voll von feinen Dornen, und die Zweige haben hässliche Knoten. Aber wenn es regnet, entfaltet er für einige Stunden Blüten von klarstem Blau.«
    Halime lauschte aufmerksam. Sie berührte Gontas’ Wange mit ihrer kleinen Hand und sah ihn an, aber nicht ein einziges Mal schaute sie zu dem Strauch, über den er sprach.
    Gontas richtete sich wieder auf. Er seufzte. So vieles hatte er ihr gezeigt, so lange hatte er mit ihr gesprochen, und immer hatte er gehofft, Halime würde eine Regung zeigen, würde etwas wiedererkennen, Landmarken oder Worte – irgendetwas, das ihm einen Hinweis auf ihre Herkunft geben könnte. Aber an diesem Tag gab er die Hoffnung auf.
    Mit der Abendkühle kehrten sie zu seinem Zelt zurück. Gontas blieb bei Halime, bis sie eingeschlafen war. Inzwischen trug sie die Kleidung der Cefron, einen einfachen Kittel von blassem Grün, und Gontas kniete sich einen Augenblick neben ihre Bettstatt und lauschte ihren Atemzügen, bevor er nach draußen ging. Dabei nahm er einen Krug mit und saß dann eine ganze Weile brütend vor seinem Zelt. Er trank und sah zum farbenfrohen Licht der Monde empor.
    Als er genug Akir getrunken hatte, spät am Abend, suchte er Ochos auf. Er wollte es tun, bevor dieser Augenblick der Einsicht ihn wieder verließ.
    Der Älteste döste vor einem kleinen Feuer aus duftenden Gormbuschzweigen. Er zuckte zusammen, als Gontas sich neben ihn setzte. Sie hatten kein Wort miteinander geredet, seit das Kind zu ihnen gekommen war. Der unausgesprochene Groll zwischen ihnen hatte keiner Worte bedurft.
    Gontas stocherte im Feuer. Ochos saß neben ihm, wachsam und angespannt.
    Gontas stieß einen langen Zweig in die Flammen. Es knackte, und Funken stoben auf. »Das Mädchen kann nicht bei uns bleiben«, sagte er.
    »Nicht in deinem Zelt«, erwiderte Ochos versöhnlich. Er reichte Gontas einen Klumpen Harz. Beide kauten und schwiegen.
    »Nein«, sagte Gontas. »Halime gehört nicht zu uns. Wir müssen sie nach Hause bringen.«
    »Wie soll das geschehen?« Ochos sprach leise und nachdenklich. »Wir wissen nichts über sie, und sie redet nicht.«
    »Ich will nicht länger versuchen, sie selbst zu befragen«, sagte Gontas. »Ich dachte an Nuatafib.«
    Ochos wiegte bedächtig das Haupt. Er warf einen Klumpen Harz in die Glut, reichte Gontas einen weiteren und steckte den dritten selbst in den Mund. Das Harz öffnete ein Tor in die Welt der Geister und ließ die Lebenden an der Weisheit der Ahnen teilhaben.
    Gontas fühlte, wie das Harz in seinem Inneren sich mit dem Akir vereinte und seinem Geist Klarheit schenkte. Ein kühler Wind fuhr vom Buschland her durch das Lager, Staub und Weite mit sich tragend. Die Flammen zu Gontas’ Füßen leuchteten in allen Farben. Funken stiegen zum Himmel
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