Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Im Land des Regengottes

Im Land des Regengottes

Titel: Im Land des Regengottes
Autoren: Gina Mayer
Vom Netzwerk:
willst du denn jetzt hier?« Das war Rosa, die Köchin. Köchinnen stellt man sich immer dick, gemütlich und rotbäckig vor, aber Rosa war groß, dürr und verschrumpelt wie ein alter Apfel. Sie stand in der offenen Küchentür, die Hände in die Hüften gestemmt.
    »Ich sollte doch die alten Kleider abholen. Frau Künstner hat uns gesagt, dass wir sie haben können.« Eine mildtätige Gabe von der Großbäuerin für die arme Witwe und ihre Tochter. Meine Mutter würde die Sachen waschen und ausbessern, alles, was noch einigermaßen in Ordnung war, würde sie verkaufen, der elende Rest bliebe dann für uns übrig.
    »Wann hat sie dir das denn erzählt? Ich weiß nichts davon.«
    »Gestern in der Kirche.« War ich etwa ganz umsonst hierhergekommen? Egal, alles war besser, als meiner Mutter beim Strümpfestopfen zu helfen.
    »Die Sachen liegen oben in der Kammer«, krächzte die Bäuerin, die jetzt hinter Rosa auftauchte, beide Hände auf ihren Gehstock gestützt. »Minnie hat sie gleich gestern aussortiert. Pack sie dem Mädchen zusammen, Rosa.«
    »Vergelt’s Gott.« Ich knickste, aber Frau Künstner hatte sich schon wieder abgewandt. Ich mochte sie nicht, obwohl sie uns ständig mit mildtätigen Gaben bedachte. In unserem Küchenbüffet stand ein Sammelsurium an angeschlagenen Tassen, die sie uns geschenkt hatte. Und Teller in allen Mustern und Formaten. Was sie nicht mehr brauchte, gab sie an uns weiter.
    »Sie schenkt uns ihren wertlosen Plunder und hofft, dass sie sich dadurch einen Platz im Himmel sichert«, hatte ich einmal zu Mutter gesagt, die daraufhin ganz außer sich geraten war. Niemals dürfe ich so etwas auch nur denken, hatte sie mich beschworen, Frau Künstner sei eine herzensgute Seele und eine gute Christin, der wir viel zu verdanken hätten. Wenn nur alle so gut wären wie sie.
    Aber mir persönlich war Rosa lieber, die mir jetzt mürrisch den Sack mit den alten Kleidern reichte. Bei ihr wusste man wenigstens genau, woran man war.
    »Hinter dem Schuppen liegen Kartoffeln«, meinte sie. »Die müssen in den Verschlag geschaufelt werden und eine Stiege davon brauche ich hier in der Küche.« Sie streckte mir den Korb hin. »Eine Hand wäscht die andere.«
    »Zu Befehl«, sagte ich, aber diesmal knickste ich nicht, sondern schlug die Hacken zusammen wie ein Soldat.
    Ihre Augen wurden ganz schmal. Sie überlegte offensichtlich, ob ich mich über sie lustig machte, aber ich verzog keine Miene.
    Der Berg Kartoffeln hinter dem Schuppen reichte fast bis zum Dach. Es würde eine gute Stunde dauern, bis das alles ins Vorratslager und von dort in den Holzkasten geschafft wäre. Keine Leistung ohne Gegenleistung, so war Rosa.
    Wenn es nach mir gegangen wäre, hätte ich den Sack mit den Kleidern einfach liegen lassen und wäre nach Hause gegangen. Sollte Rudolf sich doch darum kümmern oder Rosa selbst. Aber es ging nicht nach mir.
    »In der Not schmeckt jedes Brot«, sagte meine Mutter immer. »Wir können es uns wahrlich nicht leisten, die zu verärgern, die gut zu uns sind.«
    Also biss ich die Zähne zusammen und machte mich an die Arbeit. Ich hievte die Kartoffeln mit der Schaufel in die Schubkarre, bis sie fast überquoll, dann wuchtete ich sie in den Stall und begann, wieder zu schaufeln. Nach ein paar Minuten spürte ich die Kälte nicht mehr, sondern war schweißgebadet.
    Während ich arbeitete, wartete ich die ganze Zeit darauf, dass Rudolf auftauchte, mich lüstern anstierte und dabei sein Ziegenbocklachen lachte. Ich legte mir vorsorglich ein paar Sätze zurecht, die ich ihm an den Kopf werfen konnte. Das lenkte mich zumindest von den Blasen ab, die sich in meinen Handinnenflächen bildeten. Und als er dann wirklich kam, war ich vorbereitet.
    Ich hatte die Schubkarre gerade wieder angehoben, da hörte ich ihn hinter mir durch die Zähne pfeifen. »Das ist doch nun keine Arbeit für ein zierliches Frauenzimmer«, fing er an.
    Ich ließ die Karre los und fuhr herum. »Lass mich bloß in Ruhe!«, zischte ich ihn an, worauf er vor Schreck einen Sprung nach hinten machte.
    Und ich auch. Es war nämlich gar nicht Rudolf, es war Bertram Strate.
    Bertram Strate war ebenfalls ein Kohlstraßer und der Neffe der Bäuerin. Seinem Vater gehörte der Hof an der Sockel, der allerdings nicht halb so groß war wie der von Frau Künstner. Wie die meisten Leute an der Kohlstraße lebten auch die Strates von der Heimweberei und betrieben die Landwirtschaft nur nebenher. Nachdem er im Sommer die Oberschule
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher