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Im Land des Regengottes

Im Land des Regengottes

Titel: Im Land des Regengottes
Autoren: Gina Mayer
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abgeschlossen hatte, half Bertram oft auf dem Kratzkopp aus. Seit sie verwitwet war, schaffte es die alte Frau nicht mehr allein, aber sie war zu geizig, einen Verwalter oder auch nur einen weiteren Knecht einzustellen. Im Gegensatz zu Rudolf war Bertram nicht aufdringlich und ich hatte ihn auch noch nie fluchen gehört. Ich fand ihn auch kein bisschen widerlich. Er war ziemlich groß, mit kräftigen, breiten Schultern, einem ebenmäßigen Gesicht, hohen Wangenknochen und Segelohren. Wenn die Ohren nicht gewesen wären, hätte er vermutlich wie ein junger griechischer Gott ausgesehen, der aus dem Olymp ausgerechnet in die pietistische 3 Kohlstraße herabgestiegen war. Aber die abstehenden Ohren machten ihn wieder zu einem Menschen.
    »Es tut mir leid«, sagte er betreten. »Ich wollte dir nicht zu nahe treten.«
    »Nicht doch!« Nun machte ich wieder einen Schritt auf ihn zu. »Ich dachte, du wärst … ist ja auch egal.«
    »Soll ich dir helfen?«, erkundigte er sich.
    »Das wäre furchtbar freundlich.« Ich schlug die Augen zu Boden. So machten es die sittsamen Mädchen in den Romanen, die ich mir sonnabends immer in der Gemeindebücherei auslieh. Meistens erröteten sie dabei auch noch, aber das schaffte ich nicht, obwohl ich immer noch schwitzte.
    Er streckte mir seine Hand entgegen. Ich wollte sie gerade nehmen, als mir bewusst wurde, dass er nach der Schaufel griff.
    »Hat dir das die Alte aufgetragen?«, fragte er, nachdem er sämtliche Kartoffeln ins Lager verfrachtet hatte, so mühelos, als wäre es ein Bündel Heu.
    »Rosa. Sie überlassen uns die alten Kleider und dafür lässt sie uns mit anpacken.« Ich zuckte mit den Schultern. In der Not schmeckt jedes Brot.
    Er nickte, dann holte er seine Pfeife aus der Tasche und zündete sie an. Er sog nachdenklich an dem Mundstück und sah mich dabei an. Für gewöhnlich gefiel es mir überhaupt nicht, wenn man mich so anstarrte. Aber bei Bertram störte es mich nicht. Im Gegenteil.
     
    Zum Abendbrot gab es Milchsuppe mit Brocken. Das Klirren unserer Löffel am Tellerrand klang wie leises Glockenläuten. Ich überlegte, wie ich das Gespräch möglichst schnell und gleichzeitig unauffällig auf den Brief bringen konnte. In der Zwischenzeit hatte ihn meine Mutter bestimmt gelesen. Ob sie mir nun verraten würde, was dieser Missionar ihr geschrieben hatte?
    »Bist du gut vorangekommen mit … äh … deiner Arbeit?«
    Meine Mutter nickte geistesabwesend, dann legte sie ihren Löffel auf den Tisch und schob den Teller von sich, obwohl er noch halb voll war. Sie sah mich sehr ernst an.
    Ich hatte plötzlich das Gefühl, dass mein Herz zu hecheln begann wie der Hund von Förster Bolender, wenn man ihm ein Stück Wurst hinhält.
    »Es gibt Neuigkeiten«, sagte sie
    Gute? Oder schlechte? Ihr Gesicht verriet nichts. Mein Herzschlag beschleunigte sich. Ein Erbonkel, dachte ich. Der Missionar hatte einen unbekannten Vorfahr ausfindig gemacht, den sein Schicksal nach Afrika verschlagen hatte, wo er es zu unermesslichem Reichtum gebracht hatte. Jetzt war er verstorben und wir als seine einzigen Hinterbliebenen sollten sein Vermögen erben.
    »Frau Künstner hat gestern nach der Kirche mit mir gesprochen«, erklärte meine Mutter.
    Frau Künstner? Ich war verwirrt. Was hatte die alte Bäuerin mit dem Brief zu tun?
    »Wegen der Kleider? Die hab ich doch bereits geholt.«
    »Wegen einer anderen Sache.« Meine Mutter griff nach der Serviette und wischte sich umständlich den Mund ab. »Sie möchte, dass … sie braucht noch jemanden auf dem Hof.«
    Aber sie wollte kein Geld dafür ausgeben. Das war mir bekannt. »Und?«
    »Sie hat mir angeboten, dass ich dich schicken kann.«
    »Bitte was?« Mich? Auf den Kratzkopp? »Was soll ich denn da?«
    »Mit anpacken natürlich. Im Haus und auf dem Feld.«
    »Ich verstehe nicht.« Aber ich verstand sehr wohl. Ich sollte als Dienstmädchen auf den Kratzkopp ziehen. Das war es, was mir meine Mutter mitteilen wollte.
    »Nein«, sagte ich tonlos.
    »Jette«, sagte meine Mutter. »Wir haben kein Geld. Ich tue, was ich kann, und du bist ein fleißiges Mädchen, aber es reicht nicht zum Leben. Auf dem Kratzkopp bekommst du Kost und Logis und dazu noch Lohn. Ich weiß mir keinen anderen Rat.«
    »Aber es ist doch nicht mehr lang. Können wir die Zeit bis zum Sommer nicht irgendwie überbrücken?« Denn im nächsten Sommer sollte ich nach Elberfeld ziehen und meine Ausbildung am Lehrerinnenseminar beginnen. So war es abgemacht. Ich hatte mir den
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