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Im Land des Regengottes

Im Land des Regengottes

Titel: Im Land des Regengottes
Autoren: Gina Mayer
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erwartete, Wunder zu vollbringen. »Ich will Samen säen«, erklärte ich ihm. »Samen, die in den Seelen der Mädchen Wurzeln treiben und wachsen könnten, damit sie später bei den erwachsenen Frauen und Müttern Früchte trügen. Ich will einen Anfang machen«, sagte ich.
    Und obwohl ich mein Lehrerexamen noch nicht abgelegt habe, habe ich vor ein paar Tagen die Zusage aus Lovedale erhalten.
    Das ist meine Zukunft.
    Aber ich greife den Dingen vor. Alles hübsch ordentlich der Reihe nach, das war die Devise, die ich diesem Bericht vorangestellt habe. Also zurück in die Vergangenheit.
    Es war Pastor Cordes, der mich vor fünf Jahren hier im Pensionat der Rheinischen Mission als Schülerin angemeldet hat, nachdem ich sein Angebot ausgeschlagen hatte, als seine Tochter nach Deutschland zurückzukehren.
    Mein Stiefvater Freudenreich hätte mir damals fast noch einen Strich durch die Rechnung gemacht. In einem Schreiben an die Schulleitung hatte der Missionar meinen Charakter so übel beleumdet – ein unreifes, wankelmütiges und aufmüpfiges Wesen schrieb er mir zu –, dass man von einer Aufnahme absehen wollte.
    Wenn Pastor Cordes damals nicht so nachdrücklich für mich eingetreten wäre, hätte ich mein Ziel niemals erreicht.
    Ich erinnere mich noch genau an den Tag, an dem die Cordes mich hierherbrachten. Das große stolze Gebäude, in dem wir heute unterrichtet werden, war noch nicht erbaut, gleichwohl erschien mir die Schule ungeheuer eindrucksvoll. Von der Begrüßung der Direktorin Miss Adler verstand ich kein Wort. In Stellenbosch wird nämlich nur Englisch gesprochen und das beherrschte ich damals noch nicht.
    »Du wirst es schnell lernen«, versicherte Eva mir und sie sollte recht behalten. Die englische Sprache war das kleinste Problem.
    Schwieriger, viel schwieriger war der Umgang mit den anderen Mädchen. Wie fremd und oberflächlich sie mir erschienen, selbst Eva, die ich auf der Überfahrt nach Südwest so ins Herz geschlossen hatte. Nun kam sie mir in allen Dingen kindisch und weltfremd vor. Sie war, wie ich gewesen war, als ich in Bethanien angekommen war. Bevor Freudenreich, der Tod meiner Mutter und die Reise mit Petrus mich verändert hatten.
    Mein Ankunftstag in Stellenbosch war Evas Abschied. Zwei Tage später bestiegen sie und ihre Eltern das Schiff nach Deutschland. Seitdem habe ich Eva oft geschrieben. Meine Briefe handeln von meinem Leben im Pensionat, den Klassenkameradinnen, den Lehrerinnen, den Prüfungen. Nie von den Dingen, die mich wirklich bewegen. Meinen Hoffnungen für die Zukunft. Meinen Ängsten, meiner Verzweiflung, meiner Wut.
    Auch meine Gefühle für Petrus habe ich nie erwähnt.
    Sie bleiben in mir, unerklärlich, unerhört. Unaufhörlich.
    Ich denke so oft an ihn. Morgens, wenn ich aufwache und abends, bevor ich einschlafe. Am nächsten fühle ich mich ihm, wenn wir das Pensionat zu einem Ausflug oder einer Wanderung verlassen. Die grünen Hügel und Täler um Stellenbosch haben nichts mit der Wüste in Südwest gemein, aber in der freien Natur habe ich Petrus kennengelernt und geliebt. Ich hege die Erinnerungen, obwohl sie mich schmerzen. Sie sind das Einzige, was mir von ihm geblieben ist.
    Ich weiß nicht, was er heute macht, wo er lebt, wie es ihm geht. Ob Freudenreich ihn wieder in Bethanien aufgenommen hat, ob er zusammen mit den Herero gegen die Deutji kämpft. Vielleicht trinkt er wieder. Vielleicht ist er tot. Sein Leben und mein Leben werden sich nicht mehr berühren. Diese Erkenntnis, gegen die ich mich lange gewehrt habe, wächst langsam in mir.
    Ich sehe ihn oft vor mir, seine schmalen Indianeraugen, die hohen Wangenknochen, den schönen, vollen Mund. Er trägt die Kette mit dem Schutzengel um seinen Hals. Ich stelle mir vor, dass er sie niemals ablegt.

 
Ein Nachwort
     
    Einen Roman über deutsche Auswanderer zu schreiben, diese Idee trage ich schon viele Jahre mit mir herum. Sie nahm konkretere Formen an, als ich nach einer Lesung in Wuppertal mit Pastorin Karin Weber ins Gespräch kam. Frau Weber erzählte mir von der Kohlstraßenkapelle, den Missionszöglingen und von den Gemeindemitgliedern, die Ende des 19. Jahrhunderts ihr Leben in Elberfeld aufgegeben haben und in eine ungewisse Zukunft aufgebrochen sind. Da hatte ich mein Thema und mein Ziel gefunden: Deutsch-Südwestafrika, das heutige Namibia.
    Es dauerte allerdings noch lange, bis daraus ein Konzept geworden war und ich einen Verlag gefunden hatte, der genauso begeistert von dieser Geschichte
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