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Im Land des Regengottes

Im Land des Regengottes

Titel: Im Land des Regengottes
Autoren: Gina Mayer
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niemanden töten«, erklärte Cordes mit fester Stimme.
    »Natürlich nicht«, meinte die Pastorin verächtlich. »Sie haben die Fackel nur versehentlich in den Dachboden geschleudert.«
    »Es gab keine Fackel, die das Haupthaus entzündet hat. Der Funke ist vom Dach des neuen Stalles übergesprungen. Wir hätten einen größeren Abstand zwischen den Gebäuden wahren sollen.«
    »Hätten wir das? Also ist es am Ende unsere Schuld, dass die Jungen tot sind?« Wie hasserfüllt ihre Stimme klang.
    »Magdalena«, sagte ihr Mann leise und mahnend.
    Aus dem Augenwinkel sah ich, wie sich Frau Cordes auf die Lippen biss, bis sie ganz weiß wurden.
    »Wir wissen nicht, wer es getan hat und warum«, fuhr Pastor Cordes fort. »Vielleicht steckt Titus dahinter, aber ich glaube es nicht. Er ist ein schwacher, geldgieriger Mann, aber kein Verbrecher. Vermutlich werden wir nie erfahren, wer unsere Söhne auf dem Gewissen hat. Der Herrgott hat in seiner unergründlichen Weisheit beschlossen, sie zu sich zu nehmen. Und dort sind sie nun.«
    Ich hörte, wie Frau Cordes mit einem scharfen Zischen die Luft einzog. Dann einen Knall. Sie hatte den Raum verlassen und die Tür hinter sich zugeschlagen.
    Pastor Cordes starrte zum Fenster, mit einer solchen Anspannung und Intensität, dass ich unwillkürlich den Kopf wandte, um zu sehen, was er dort betrachtete. Aber da war nur der dunkelblaue Himmel, an dem soeben die Sonne untergegangen war. Als ich den Kopf wieder zurückdrehte, bemerkte ich, dass er sich verstohlen die Tränen aus den Augen wischte. Er sah so erbärmlich aus. Sein so gepflegter Bart war von den Flammen versengt worden, aber an einigen Stellen wucherte das Haar bereits wieder wild und grau. Seine goldene Nickelbrille lag auf der Bibel neben dem Bett. Ohne sie wirkten seine Augen nackt und verletzlich.
    »Wo sind Ihre anderen beiden Söhne?«, fragte ich.
    »Wir haben sie gestern nach Kapstadt geschickt. Sie sollen mit dem nächsten Schiff zurück nach Deutschland. Verwandte in der Nähe von Hannover werden sie bei sich aufnehmen. Sobald es mir einigermaßen besser geht, werden wir dieses Land wieder verlassen und ebenfalls zurückkehren. Meine Frau … sie erträgt es hier nicht mehr.«
    »Und Eva?«
    »Eva kommt natürlich mit. Sie weiß noch nicht, was geschehen ist. Wir wollen es ihr persönlich sagen, aber im Moment kann keiner von uns nach Stellenbosch reisen.«
    Da ging sie hin, meine allerletzte Hoffnung. Wie sehr hatte ich davon geträumt, dass ich gemeinsam mit Eva in Stellenbosch zur Schule gehen könnte. Es war eine unsinnige, unvernünftige Hoffnung gewesen. Das Pensionat war eine Schule für Missionarstöchter, aber ich war keine Missionarstochter. Ich war nichts.
    »Warum sind Sie hier, Henrietta?«, fragte Pastor Cordes.
    Ich schüttelte den Kopf. »Später.« Mein eigenes Leid war klein und lächerlich im Vergleich zu dem, was den Cordes geschehen war.
     
    Schwester Elsbeth, die offensichtlich gleichzeitig als Wächterin, Krankenschwester und Haushälterin diente, bereitete mir mein Bett neben dem von Frau Cordes. Eigentlich bewohnte sie die Hütte, aber nachdem das Haupthaus durch den Brand unbewohnbar geworden war, hatte sie ihre Unterkunft dem Pastorenehepaar überlassen. Sie selbst schlief irgendwo bei den Dienstboten.
    Bei unserem gemeinsamen Abendessen erzählte ich der Pastorin, dass meine Mutter gestorben und ich aus Bethanien weggelaufen war, weil ich es mit dem Missionar nicht hatte aushalten können. Sie nickte und seufzte. »Mein Beileid.« Mit keinem Wort erkundigte sie sich nach dem Verlauf meiner Reise, meiner Gemütsverfassung, meinen Zukunftsplänen. Sie war voll Trauer, Zorn und Verzweiflung, in ihr war kein Raum mehr für Mitgefühl.
    Wir aßen schweigend weiter. Maisbrot mit Fleisch und Zwiebeln. Ich war sehr hungrig und verschlang mein Essen, ohne richtig zu kauen. Nach jedem Bissen hing der bittere Geschmack des Brotes in meinem Gaumen und ließ sich einfach nicht hinunterschlucken.
    Vielleicht wäre es am besten gewesen, wenn ich einfach munter drauflos geplappert hätte. Wenn ich der Pastorin von unserer Reise erzählt hätte, von meinem Leben bei den Nama, dem Wiedersehen mit Fräulein Hülshoff in Warmbad, dem Angriff des Leoparden, der mich und Petrus fast das Leben gekostet hätte. Vielleicht hätte ich sie von ihrem Schmerz ablenken können, zumindest eine Weile lang. Aber ich schaffte es nicht. Ich war selbst viel zu traurig.
     
    Nach dem Gespräch mit Pastor Cordes hatte
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