Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Im Land des Regengottes

Im Land des Regengottes

Titel: Im Land des Regengottes
Autoren: Gina Mayer
Vom Netzwerk:
nicht.«
    Aber das war nicht wahr, denn ich weinte doch. Genau wie er.
    Ich knüpfte das Band auf, an dem Evas Schutzengel hing, küsste die kleine Messingfigur und verknotete das Band in seinem Nacken.
    Das war unser Abschied.
     
    Frau Cordes schob ihren fast unberührten Teller von sich. Ich wischte meine letzten Zwiebeln mit einem Stück Maisbrot auf. Ich schämte mich dafür, dass ich nach dem Abschied von Petrus einen solchen Appetit hatte. Aber ich war vollkommen ausgehungert, daran änderte auch meine Traurigkeit nichts.
    Nachdem ein schwarzes Mädchen die Teller abgetragen hatte, sah Frau Cordes noch einmal nach ihrem Mann und ich ging zu Bett. Ich war mir ganz sicher, dass ich lange keinen Schlaf finden würde, aber kaum dass ich mich ausgestreckt hatte, überwältigte mich auch schon eine bleierne Müdigkeit.
     
    Ich saß mit Bertram hinter der Kapelle in der Kohlstraße. Bertram rauchte Pfeife und ich stopfte Strümpfe, neben mir stand ein ganzer Korb mit Flickarbeiten.
    »Wenn wir einmal verheiratet sind, wird das alles dir gehören«, sagte Bertram großartig und wies mit seinem Pfeifenstiel auf die Wiese vor uns. Jetzt erst erkannte ich, dass sie mit Gräbern bedeckt war.
    Ich sah ihn entsetzt an. »Ein Friedhof? Was soll ich denn damit?«
    »Erde zur Erde. Asche zur Asche. Staub zu Staub«, entgegnete Bertram.
    Ich fragte mich, was ich hier wollte. Meine Verlobung mit Bertram war beendet, warum saßen wir nebeneinander auf der Wiese, als wären wir immer noch ein Paar?
    »Ich liebe einen anderen«, sagte ich. »Er heißt Petrus.«
    Im selben Moment öffnete sich vor uns ein Grab, ein Leopard wälzte die Grabplatte beiseite, drängte seinen Schädel ans Licht und sprang mit einem gewaltigen Satz auf uns zu. Er riss Bertram von meiner Seite, er riss ihn einfach weg.
    Ich hielt plötzlich ein Gewehr in den Händen, aber ich schaffte es nicht, es hochzunehmen, anzulegen, abzudrücken. Bleischwer lag es auf meinen Beinen.
    Dann fiel mein Blick in das offene Grab und ich erschrak. Dort unten lagen drei Skelette, zwei davon weiß, eines schwarz: Meine Mutter. Mein Vater. Und Petrus.
    Als ich zu schreien begann, hielt meine Mutter mich fest. Ihre Hand strich über mein Haar, ihr Gesicht lag auf meiner Schulter. Ich spürte ihren warmen Atem an meinem Hals. Sie flüsterte beruhigende Sätze in mein Ohr, von denen ich nur jedes zweite Wort verstand. »Hab keine Angst«, flüsterte sie. »Ich bin bei dir.«
    Der Leopard. Das offene Grab. Die drei Skelette. Alles nur ein Traum. Petrus war nicht tot. Er lebte. Aber mein Vater und meine Mutter, die waren wirklich gestorben. Nur dass meine Mutter nicht in der Kohlstraße lag, sondern auf dem Friedhof in Bethanien. Wenn meine Mutter aber tot war, dann konnte sie nicht neben mir sitzen und mich trösten. Ich war gar nicht aufgewacht, ich schlief immer noch und war nur von einem Traum in den nächsten geglitten …
    »Schschsch«, machte die Stimme an meinem Ohr. »Sei ganz ruhig. Alles wird gut.«
    Wann hatte mich meine Mutter das letzte Mal so im Arm gehalten und getröstet? Als ich noch ein kleines Mädchen war. Lange bevor mein Vater gestorben war. Ich spürte, wie sie meinen Körper zurück aufs Bett gleiten ließ. Die Wellen des Schlafs zogen mich mit sich in einen neuen Traum, an den ich mich am nächsten Morgen nicht mehr erinnern würde.
     
    Als ich wieder aufwachte, malte das Fenster ein dunkles Kreuz auf den gestampften Lehmboden in der Hütte. Petrus war weg. Ich musste gar nicht aufstehen und nachsehen, um mich dessen zu versichern. Ich spürte es. Er fehlte mir, wie einem in der stechenden Sonne ein Hut fehlt oder, wenn es kalt ist, ein Schal.
    »Guten Morgen.« Schwester Elsbeth trat ins Zimmer, das blütenweiße Häubchen auf dem Kopf, eine dampfende Schüssel Maisbrei in den Händen. »Fruhstuck fur die junge Fraulein!«
    Das Bett von Frau Cordes war ordentlich gemacht, sie selbst musste bereits gefrühstückt haben. Wie viel Uhr mochte es sein?
    »Ich habe gar keinen Hunger.« Ich aß dennoch einen Teller Mieliepap, während Elsbeth mir wohlwollend zusah.
    »So ist es recht«, sagte sie zufrieden, als ich ihr den leeren Teller zurückgab. »Der Herr Pastor und seine Frau warten schon auf Fraulein.«
    »Warum?«, fragte ich alarmiert.
    Das konnte oder wollte mir Elsbeth nicht sagen. Sie zwinkerte mir nur ermutigend zu, während sie den leeren Teller oben auf den Topf stellte. »Keine Angst«, sagte sie wie meine Mutter in meinem Traum. Dann verließ
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher