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Im Land des Regengottes

Im Land des Regengottes

Titel: Im Land des Regengottes
Autoren: Gina Mayer
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ertrugen. Danach die Männer selbst. Wir legten einen Garten hinter dem Haus an, erwarben mit Mitteln der Rheinischen Mission ein paar Rinder, der alte Stall wurde repariert und ein neuer errichtet. Alles erschien durchaus hoffnungsvoll.«
    Die Pastorin verstummte.
    Ich wartete, aber sie redete nicht weiter.
    »Und dann? Was ist dann geschehen? So erzählen Sie doch. Ist dieser Titus Beukes zurückgekommen?«
    Sie nickte, aber gleich darauf schüttelte sie den Kopf. »Mein Mann sagt, dass es keine Beweise gibt und dass wir ihn nicht verurteilen dürfen, weil das allein der Herr im Himmel kann. Der Herr im Himmel!«, wiederholte sie noch einmal mit lauter Stimme, wobei sie mich anklagend ansah. So als ob ich den Namen Gottes ins Spiel gebracht hatte und nicht sie selbst.
    »Was ist geschehen?«, fragte ich nun schon zum dritten Mal.
    »In der Nacht zum Sonntag wurden wir von einem Gejohle und Gebrüll geweckt. Vier Männer galoppierten über den Hof und schwenkten dabei brennende Fackeln in den Händen. Sie warfen ihre Lunten in den neuen Stall, dessen Holz sofort Feuer fing. Wir haben natürlich gleich Alarm geschlagen. Mein Mann rannte in die Kirche und läutete die Glocke. Ich lief zum Stall, um die brüllenden Rinder zu befreien. Ich weckte auch Schwester Elsbeth, damit sie ins Haus lief und die Jungen holte. Aber sie kam nicht dazu. Sie stolperte im Hof und brach sich den Knöchel. Es dauerte sehr lange, bis sie es schaffte, sich aufzuraffen und sich ins Haus zu schleppen.«
    Frau Cordes nahm ihre Brille ab und putzte sie mit einem Zipfel ihrer Schürze. Ihr Gesicht verschwamm vor meinen Augen, weil ich plötzlich Tränen in den Augen hatte. Auf einmal wollte ich gar nicht mehr wissen, was geschehen war. Am liebsten wäre ich aufgestanden und einfach weggegangen, aus dieser Hütte, aus der Missionsstation zurück in den Busch. In den vergangenen Monaten und Wochen war Wupperthal meine Hoffnung gewesen, mein rettender Hort. Aber nun, da ich die letzte Station meiner Reise erreicht hatte, löste sich auch dieser Traum in nichts auf. Wupperthal bot mir genauso wenig Zuflucht wie Bethanien oder Warmbad.
    Aber wo sollte ich mich jetzt noch hinwenden?
    Vor mir lag dieselbe Leere, die auch hinter mir lag. Ich konnte nicht weglaufen. Ich musste mir auch das Ende von Frau Cordes’ Geschichte anhören, ob es mir gefiel oder nicht.
    »Titus und seine Leute hatten eine Fackel in den Dachboden des Wohnhauses geschleudert, wo das Feuer natürlich zu lodern begann. Aber inzwischen war Hilfe da, unsere Arbeiter und Angestellten waren von den Glocken geweckt worden und herbeigeeilt. Wir bildeten eine Eimerkette, es gelang uns, den Brand zu löschen. Die Flammen haben meine Söhne nicht getötet.« Frau Cordes griff nach dem Glas und leerte es mit einem Zug. »Es war der Rauch, der Jonathan und Andreas vergiftet hat. Mein Mann hat sich über die brennende Treppe zu ihnen durchgeschlagen, aber er konnte sie nicht mehr retten.«
    Jonathan und Andreas. Ich versuchte vergeblich, mich zu erinnern, welche Gesichter zu diesen beiden Namen gehörten. Waren es die dunkelhaarigen Zwillinge? Oder die beiden älteren Jungen? Auf der Gertrud Woermann hatte ich mit Evas lauten, ungestümen Brüdern kaum ein Wort gewechselt.
    »Jonathan war mein Jüngster, einer der Zwillinge. Er war gerade sieben. Andreas war der Zweite, der sein Leben lang zu kurz gekommen ist. Nur beim Sterben, da war er der Erste«, sagte Frau Cordes leise.
    Ihr Gesicht war jetzt ganz ruhig, auch die Tränen waren aus ihren Augen verschwunden. Ich dagegen weinte. Ich weinte um Jonathan und Andreas, an die ich mich nicht mehr erinnern konnte und die ich niemals kennenlernen würde.
     
    Später führte sie mich zu Pastor Cordes, der in der winzigen Abstellkammer von Schwester Elsbeths Wellblechhütte lag.
    »Henrietta«, flüsterte er mit heiserer Stimme und streckte mir seine Hände entgegen, die in weißen Verbänden steckten. »Was um alles in der Welt machen Sie hier in Wupperthal?«
    Ich winkte ab. »Das ist jetzt nicht wichtig. Ihre Frau hat mir erzählt, was passiert ist. Mein herzliches Beileid.«
    Mein herzliches Beileid. Drei stumpfe Worte, die durch den häufigen Gebrauch jegliche tröstende Kraft verloren hatten.
    Doch der Pastor nickte und lächelte, als wäre dies der Trost, nachdem er sich die ganze Zeit verzehrt hatte. »Herr, vergib ihnen, denn sie wissen nicht, was sie tun.«
    Seine Frau, die an der Tür stehen geblieben war, schnaubte laut.
    »Sie wollten
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