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Im Land des Falkengottes. Echnaton

Im Land des Falkengottes. Echnaton

Titel: Im Land des Falkengottes. Echnaton
Autoren: Andreas Schramek
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schlanke Barke mit der Strömung zügig nach Norden, vorbei an der Stadt, ihren Gärten und Feldern.
    Über dem Fluss lagen da und dort noch Schleier des nächtlichen Nebels, denn es war kühl. Die wenigen Fischer, die schon so früh am Morgen ihr Glück versuchten, beachteten uns nicht, denn das schlichte Äußere des Kriegsschiffes verriet ihnen nicht, dass Pharaos einziger lebender Sohn, der Thronfolger Amenophis, auf ihm fuhr.
     
    Waset lag schon weit hinter uns, als sich der Prinz von seinem Platz erhob und an die Reling trat. Er hielt sich mit beiden Händen am Geländer fest und blickte mit weit geöffneten, regungslosen Augen nach Osten. Als die ersten Sonnenstrahlen hinter den Bergen hervorblitzten, als Chepri, die emporsteigende Sonne, ihre zarten Arme nach Amenophis ausstreckte, erhellten sich die Gesichtszüge des Prinzen. Erst als die Sonnenscheibe über dem Horizont stand, schloss er die Augen und genoss das wärmende Licht des erscheinenden Gottes, ja es war, als saugte er die Sonnenstrahlen mit seinem ganzen Körper in sich auf. Der Prinz war völlig in Gedanken versunken, seine Gesichtszüge zeigten nicht die geringste Regung, und doch schien er zufrieden zu lächeln. Mir war, als würde Amenophis nicht einmal mehr atmen, und ich musste ihn genau betrachten, um zu bemerken, dass sich seine schwächliche Brust ganz leicht hob und senkte.
    So stand die Sonnenscheibe schon hoch über den östlichen Hügeln, als mein Schüler noch immer regungslos dastand. Schweißperlen sammelten sich auf seiner hohen Stirn, und erst, als sich genügend Tropfen gesammelt hatten, um vereint als dünne Spur über seine Wangen und den schlanken Hals hinabzugleiten, erst jetzt öffnete Amenophis die Augen, seine Hände ließen das Seil der Reling los, und er wandte sich wieder mir zu.
    «Ist es nicht ein Wunder, das wir jeden Tag erleben? Ich kenne nichts, was mich so tief berührt, wie der heranbrechende Tag und der kurze Augenblick, bis sich die Sonnenscheibe über den Horizont erhoben hat.» Der Prinz breitete die Arme aus. «Erhebt sich nicht unser Geist und sehnt sich danach, eins zu sein mit dieser göttlichen Erscheinung? Mich erfüllt bei diesem Anblick immer wieder ein Gefühl tiefer, inniger Dankbarkeit. Welch erbärmliche Geschöpfe müssen das sein, die nichts dabei empfinden, die diesen täglichen Akt des Neubeginns der Schöpfung nicht mit dankbarem Herzen bejubeln!»
    Ich schwieg. Amenophis trat auf mich zu, legte seine Hände auf meine Schultern und sagte mit seiner ruhigen und wohlklingenden Stimme: «Ich weiß Eje, dass du so denkst, so fühlst wie ich. Du hast es Nafteta gelehrt, und sie lehrte es mich.»
    Prinz Amenophis wandte sich von mir ab und besah sich allein das Schiff, ehe er von Meru bemerkt wurde. Bereitwillig erklärte dieser seinem künftigen Herrscher jede Kleinigkeit und beantwortete ihm alle Fragen.
    Ich blieb unter dem Baldachin zurück, denn es begann, heiß zu werden. Die Worte des Prinzen hatten mich verwirrt. Langsam setzte ich mich nieder und sah schweigend in den Fluss, so, als würde ich dort eine Antwort finden können. Er hatte gewiss Recht, denn mich begeisterte schon immer der Anbruch eines neuen Morgens, das tägliche Erwachen der Natur. Ich hätte aber nie daran gedacht, dies mit so inniger Frömmigkeit zu tun, ja einen Sonnenaufgang mit einer geradezu kultartigen Handlungsweise zu begleiten.
    Ich wusste schon seit langem, dass meine Tochter Nofretete und Prinz Amenophis vieles über alle Erscheinungsformen der Sonnengottheiten wussten, dass sie Priester und alte, weise Männer befragten und mit ihnen ihre Gedanken austauschten. Ich wusste auch, dass beide noch mehr als Nimuria Gefallen fanden am Atonkult. Doch nun fragte ich mich zum ersten Mal, wohin das alles führen würde.
    Die Genauigkeit und Geradlinigkeit, die Amenophis in allen anderen Dingen an den Tag legte, beruhigte mich wieder. Er war von einem Wissensdrang, wie man ihn als Lehrer – und im Grunde war ich nichts anderes als sein Lehrer – nur selten erlebt. Verstand er etwas nicht auf Anhieb, fragte er nach, ohne darüber Scham zu empfinden. Ihm war bewusst, dass er mit seiner Gründlichkeit so manchen bis an den Rand der Geduld brachte, und es war wohl seinem Rang als Königssohn zu verdanken, dass jeder bis zuletzt freundlich blieb. Der Prinz lehrte mich einen Grundsatz: Nur das habe ich begriffen, was ich selber einem anderen bis in jede Kleinigkeit und fehlerfrei erklären kann.
    Daran sollte er sich ein
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