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Im Land des Falkengottes. Echnaton

Im Land des Falkengottes. Echnaton

Titel: Im Land des Falkengottes. Echnaton
Autoren: Andreas Schramek
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Aber war ich mir denn sicher, den wahren Grund zu kennen? Es sollten noch viele Jahre vergehen, ehe ich mir, nur mir, eine Antwort geben konnte.
     
    Es begann gerade zu dämmern, als ich mein Haus verließ. War wenige Augenblicke vorher der durchdringende Jubel einer Nachtigall das Einzige gewesen, was ich im Dunkel der Nacht vernommen hatte, so stimmte jetzt eine Amsel nach der anderen ein. Erst war es nur eine, die leise und zaghaft ihr Morgenliedanstimmte, dann eine zweite, doch bald war der ganze Garten erfüllt vom Gesang all der Vögel, die hier ihre Heimat hatten, und um so stiller wurde die Nachtigall, ehe ihr unvergleichlicher Gesang gänzlich verstummte. Als junger Mensch hatte ich dieses Erwachen des Tages oft erlebt. Nach einem Fest, das bis in den Morgen dauerte, oder wenn mich die Liebe erst bei Tagesanbruch einschlafen ließ.
    «Komm gesund wieder», flüsterte mir Ti zu, als ich mich über sie gebeugt hatte, um sie zum Abschied zu küssen.
    «Ich komme bald zurück, meine Ti», sagte ich leise für mich, als ich jetzt am Tor meines Gartens angelangt war, und mich noch einmal umdrehte, um einen Blick zurückzuwerfen, ehe ich auf den Wagen stieg, der mich schon erwartete. Ti stand auf der Terrasse, und wir winkten einander zu. Jetzt, ausgerechnet jetzt, da ich meine Ti für einige Wochen verlassen musste, dachte ich an Merit, meine erste Frau. Seit siebzehn Jahren war sie schon tot, doch wie würde sie jetzt aussehen, wäre sie noch am Leben? Wären wir noch immer die glücklichsten Menschen der Welt, die wir einmal waren? Oder hätte der Alltag seinen Schleier der Gleichgültigkeit auch über unsere Liebe geworfen? Ich spürte, wie meine Augen feucht wurden. Sollte ich mich meiner Tränen, die ich für Merit vergoss, schämen? Ti wusste, wie sehr ich Merit geliebt hatte, hatte sie doch schon Jahre vor deren Tod in meinem Haus gelebt. Aber es war offenkundig, wie sehr ich jetzt Ti liebte, und ich ließ sie hierüber keinen Tag im Zweifel. Sicher, es war nicht die Liebe von jungen Menschen, die nicht mehr wahrnehmen, was neben ihnen geschieht, die vor Freude singen und tanzen, unendlich lange Liebesbriefe schreiben und meinen, sie müssten sterben, sollte diese Liebe je ein Ende finden. Es war vielmehr eine sehr bewusst erlebte Liebe, tief verankert im Herzen und gepaart mit der Gewissheit, den richtigen Weggefährten für die letzten Lebensjahre gefunden zu haben. Ja, mit dieser Gewissheit verließ ich an diesem Morgen Ti.
    Der Wagenlenker fuhr nicht übermäßig schnell. Er wusstenicht, welch wilder Fahrer ich einst gewesen war, wahrscheinlich nahm er sogar auf mein Alter Rücksicht. Mir war es recht, denn so konnte ich ohne jede Hektik die Kühle des Morgens genießen, bis wir im Hafen eintrafen.
    Das Schiff war zum Ablegen bereit. Nebenkemet, der Kommandant der königlichen Flotte, den alle Meru nannten, stand zwischen einem Spalier von vierundzwanzig Soldaten an der Hafenmauer und begrüßte mich wie einen alten Freund.
    «Ich glaubte schon, du hättest verschlafen, Eje», rief er mir zu, als ich vom Wagen stieg. Dann hielt er mir die rechte Hand zum Gruß entgegen, und mit der Linken klopfte er mir auf die Schulter.
    «Ich bin hoffentlich nicht der Letzte?», fragte ich etwas verlegen, denn ich fürchtete, Prinz Amenophis war vor mir eingetroffen. Ehe Meru mir eine Antwort geben konnte, hörten wir das Trampeln von Pferdehufen. Ein Trupp von acht Streitwagen jagte von Osten kommend auf der breiten Prachtstraße zum Hafen. An ihrer Spitze fuhr Prinz Amenophis. Wagenrennen waren die einzige Leidenschaft, die er von seinem Vater geerbt hatte.
    «Wenn es mir deine Stellung nicht verbieten würde, Prinz Amenophis, und wenn ich nicht schon ein älterer Herr wäre, ich hätte dich schon längst zu einem Rennen herausgefordert», rief ich ihm entgegen und verbeugte mich tief, wie die anderen auch, als er auf uns zutrat.
    «Oh Eje, alter Schmeichler! Wüsste ich nicht von meinem Vater, welch waghalsiger Wagenlenker du immer gewesen bist, ich würde deine Herausforderung noch hier annehmen. Doch wir haben Eile, nach Men-nefer zu kommen.»
    In wenigen Sätzen sprang er auf das Schiff und nahm, ohne dass um seine Person Aufsehen gemacht werden durfte, unter dem Baldachin Platz, geradeso, als wäre er ein einfacher Offizier und nicht der Sohn des Guten Gottes.
    In knappen Worten erteilte Meru seine Befehle, und kurzeZeit später legte unser Schiff ab. Die gleichmäßigen Schläge der zwanzig Ruder trieben die
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