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Im Land der gefiederten Schlange

Im Land der gefiederten Schlange

Titel: Im Land der gefiederten Schlange
Autoren: carmen lobato
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Männer, mit denen ihre Mutter sonst nicht sprach. Katharina hatte angenommen, sie könne gar nicht mit ihnen reden, da ihre Sprache im Haus verboten war. Der Mann hatte schwarzes Haar, dunkle Haut und um die Hüften eine Schärpe, die Ben Faja nannte. Er war zweifellos kein Deutscher, nicht einmal ein Kreole, aber die Mutter sprach mit ihm und übergab ihm das Päckchen, das sie so beschützend an die Brust gedrückt hatte. Der Mann klemmte es sich unter den Arm, und als die Mutter den Kopf schüttelte, stopfte er es sich in den Hemdausschnitt.
    Katharina stellte sich auf die Zehenspitzen. Die Mutter nestelte unter der Jacke einen Beutel hervor, den sie dem Mann entgegenhielt. Der senkte die Nase, als wollte er daran riechen. Enthielt der Beutel Schnupftabak? Nein, das, was der Mann herauszog und in seine Hand zählte, waren eindeutig Münzen.
    Die Mutter überbrachte diesem Mann eine Ware und zahlte ihm dafür noch Geld? Ein Geräusch ließ Katharina herumfahren. Jemand machte sich am Geschirr des Ponys zu schaffen, versuchte mit einer Art Zange einen silbernen Beschlag zu entfernen. »Heda!«, entfuhr es Katharina, und sogleich sah der Mann zu ihr auf. Es war gar kein Mann, es war ein Junge wie Ben, das Haar pechschwarz, die Augen angstvoll aufgerissen.
    Ein paar Männer, sämtlich Weiße in Uniformen, sprangen hinzu, einer packte den Jungen, und ein zweiter riss die Kutscherpeitsche aus der Halterung. Er holte aus, dass die Menge auseinanderstob, und schlug auf den Jungen ein. Der stürzte zu Boden, und Katharina wusste nicht, wer lauter schrie, der Junge oder sie selbst. Wieder holte der Soldat aus und versetzte dem am Boden liegenden Jungen einen Peitschenhieb, der ihm das Hemd über der Brust zerriss. Der vergilbte Stoff färbte sich rot. »A la mierda, ladron!«, fluchte der Mann und holte von neuem aus. »Zum Teufel mit euch, Diebsgesindel.«
    Katharina versuchte ihm die Peitsche wegzureißen und stürzte vom Bock. Schmerzhaft landete sie auf Händen und Knien. Der Junge erhielt weitere, immer schnellere Hiebe, bis endlich ein Soldat den Stiel der Peitsche ergriff und dem Rasenden Einhalt gebot. »Es ist nicht erlaubt, die Biester auszupeitschen«, sagte er zu seinem Kameraden. »Gib’s ihm mit dem Knüppel, damit handelst du dir keinen Ärger ein.«
    Irgendwer aus der Menge reichte dem Schläger eine Holzlatte. Katharina glaubte sich gelähmt vor Schreck. Noch einen Blick erhaschte sie auf das Gesicht des Jungen, seine Lippe war aufgeplatzt, ein Auge schwoll zu, und aus der Nase rann Blut, dann sauste der Prügel auf ihn nieder. Sie hörte keinen Menschen schreien, nur eine einzelne Möwe, die über ihren Köpfen kreiste und schrill und klagend in den Morgen kreischte.
    Katharina wollte aufspringen, da drängte sich jemand durch die Schar der Gaffer, packte sie bei den Schultern und riss sie zu sich hoch. Ihre Mutter schlang die Arme um sie und drückte sie so fest an ihren Leib, dass sie kaum Luft bekam. »Hat er dir etwas getan, mein Herz? Ich bringe ihn um, wenn er dir etwas getan hat, mit meinen Händen bringe ich ihn um.«
    Dann hörte Katharina nur noch den Aufprall der Schläge auf dem Körper des Jungen und sein leiser werdendes Wimmern. Nein, er hat mir nichts getan, wollte sie rufen, und dafür, dass er das bisschen Geglitzer stehlen wollte, darf man ihn doch nicht derart prügeln. Aber das Erlebte war zu entsetzlich für Worte. Sie brachte keines heraus.
    »Ich lass dich nie wieder allein, hörst du?« Ihre Mutter presste sie noch fester an sich. »Du bist doch alles, was ich habe. Ich bringe dich nie wieder an diesen schrecklichen Ort.«
    Ob die Soldaten den Jungen totgeschlagen hätten, sollte Katharina nie erfahren, denn in diesem Augenblick geschah etwas, das ihn rettete. Der Soldat mit der Latte hielt inne, die Gaffer drehten sich um, und der Geprügelte war frei, sich aufzurappeln und in irgendeine Gasse zu fliehen. Ein Geräusch hatte die Ereignisse zum Stillstand gebracht und aller Blicke nach vorn aufs Meer gelenkt. Katharina kannte das Geräusch. Sie war damit aufgewachsen, die umkämpfte Hafenstadt hallte in manchen Nächten davon wider. Geschützfeuer. Der Donner von Schüssen, der die Luft zerschnitt.
    Sooft dieser Lärm sie aus dem Schlaf riss, kam ihr Vater zu ihr und versicherte ihr, dass die Kämpfe weit weg waren und ihrer Siedlung keine Gefahr drohte. Jetzt aber war der Donner nah und laut wie nie zuvor. Katharina konnte nichts erkennen, weil vor ihr Erwachsene standen, doch
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