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Im Land der gefiederten Schlange

Im Land der gefiederten Schlange

Titel: Im Land der gefiederten Schlange
Autoren: carmen lobato
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Schwarze Haare, schwarze Augen, drecksbraune Haut. Jetzt gehe ich besser, denn die Sanne braucht Holz, und du weißt ja, wir Drecksgesichter handeln uns nur allzu schnell Prügel ein.«
    Damit verließ er die Sattelkammer. Fassungslos starrte Katharina ihm nach, und zum ersten Mal fiel ihr auf, wie groß er war, wie gerade er sich hielt und dass er schon Schultern wie ein Mann bekam.
     
    Hatten Katharina und Ben zuvor gestritten, so hatten sie sich im Nu wieder versöhnt, aber dieses Mal ging er ihr drei geschlagene Wochen lang aus dem Weg. Um sie herum spielte sich ab, was die Erwachsenen die Blockade des Kuchenkriegs nannten, jeder schimpfte über Waren, die er nicht ausliefern, oder Lebensmittel, die er nicht einkaufen konnte, doch Katharina erlebte ihre eigene Blockade. Ihr liebster Freund war so unzugänglich wie der Hafen von Veracruz. Er hatte eine Mauer um sich gezogen und erlaubte ihr keinen Blick hindurch. So sehr verletzte er sie damit, dass sie entschlossen war, es ihm heimzuzahlen, aber als er an einem Januarmorgen in der Box des Falben stand und ihren Gruß erwiderte, war sie derart erleichtert, dass sie ihre Rachepläne vergaß und die Arme um ihn schlang. »Mach das nie wieder mit mir. Nie und nie und nie.«
    Geschmeidig löste er sich aus ihrer Umarmung und strich ihr das grässliche Haar glatt, das aus den Zöpfen quoll. »Manchmal muss ich das tun, Ichtaca«, sagte er. »So wie ein Tier, weißt du? Wenn es verletzt wird, zieht es sich in seinen Bau zurück, bis es ihm bessergeht.«
    »Aber ich habe dich nicht verletzt«, fuhr Katharina auf. »Ich habe dich lieb, ich würde dir im Leben nicht weh tun.«
    Ben erwiderte nichts, sondern lächelte nur mit verschlossenen Lippen und hob die Brauen, wie es seine Art war, wenn er eine Frage stellte. Die Frage blieb stumm. Sie redeten nicht mehr darüber und waren Freunde wie bisher, aber das Ereignis brannte sich in Katharinas Gedächtnis, so dass sie noch Jahre später davon träumte. Jedes Mal, wenn der Traum sie heimsuchte, kreischte darin die einzelne Möwe oder Taube, und jedes Mal hatte der Junge Bens Gesicht.

2
    »Es lässt sich nun einmal nicht machen, Inga.« Christoph Hartmann stand in der Tür seiner Schlafstube und sah seiner Frau beim Ankleiden zu. Er fand sie noch immer schön, aber davon sagte er ihr schon seit Jahren nichts mehr.
    »Und warum nicht?« Sie unterbrach ihre Tätigkeit und drehte sich zu ihm um.
    »Weil Marthe und Peter den Platz haben, der uns fehlt«, entgegnete Christoph schärfer als beabsichtigt. »Zudem finde ich es äußerst großherzig von meiner Schwester, dass sie uns allen ein Essen auftischt. Möchtest du das vielleicht an ihrer Stelle tun? Nach einem Jahr wie diesem, wo wir manchmal kaum wissen, was wir den Kindern auf den Tisch stellen sollen?«
    Inga entgegnete nichts. Sie wandte sich ab und beschäftigte sich wieder mit den Knöpfen ihres grauen Kleides, die sie einen nach dem anderen schloss. Christoph seufzte. Er wäre gern zu ihr gegangen, hätte ihr den Arm um die Schultern gelegt und ihr gesagt, dass er sie verstand. Irgendwann aber waren solche Gesten zwischen ihnen zum Erliegen gekommen, und ihren Wunsch konnte er nicht erfüllen, so bescheiden er sich ausnahm. Einmal Weihnachten feiern wollte sie – im eigenen Haus und am eigenen Tisch, mit einem Essen, das nicht Marthes Köchin, sondern sie selbst gekocht hatte.
    Sie war eine gute Frau. Sie beklagte sich nie und hätte mit dem wenigen vorliebgenommen, das ihr Mann nach der lähmenden Blockade auftreiben konnte. Wäre es nach ihr gegangen, so hätten sie beide sich mit den Zwillingssöhnen Torben und Friedrich und mit der Tochter Josephine zu einem einfachen Mahl gesetzt und ihren Weihnachtsabend in stiller Frömmigkeit verbracht. Christoph war es, der sie Jahr um Jahr beschwor, sie müssten mit allen Verwandten im Haus seines Schwagers feiern, denn in der Fremde sei nichts so bedeutsam wie die Familie und ihr Zusammenhalt.
    Natürlich hatte er damit recht. Sie konnten ihren Kindern keine Heimat bieten. Diese Siedlung mit kaum hundert Bewohnern, die an ihrer deutschen Herkunft und Sprache festhielten, die Familie, die füreinander einstand, war alles, was sie besaßen, und ihre Kinder hatten ein Anrecht darauf. Besonders meine Jo, durchfuhr es ihn, und der Gedanke an die Sechsjährige, seine Erstgeborene mit dem feinen Haar und der zärtlichen Stimme, machte ihn ein wenig fröhlicher. Der Hort der Familie würde ihm die Tochter behüten in dieser
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