Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Im Land der gefiederten Schlange

Im Land der gefiederten Schlange

Titel: Im Land der gefiederten Schlange
Autoren: carmen lobato
Vom Netzwerk:
und dunkel und behaglich war. Kein anderer kam je hierher. Es war ihre Ben-und-Katharina-Höhle, ihr verborgenes Reich.
    Katharina setzte sich auf ihren angestammten Platz, das Fass mit der Sattelseife, und Ben ließ sich mit gekreuzten Beinen zu ihren Füßen nieder. »Ich war auf dem Malecon«, platzte sie heraus, »heute Morgen, mit der Mutter! Sie hat einem Mann ein Päckchen gegeben und ihm sogar Geld dafür gezahlt, und mir hat sie Süßes versprochen, bis mir schlecht wird, wenn ich keinem Menschen etwas davon sage.«
    Ben verzog den Mund. »Daran hältst du dich ja vorbildlich.«
    Katharina winkte ab. »Du zählst nicht.«
    Sogleich bemerkte sie, wie falsch das klang, aber ehe sie etwas hinzufügen konnte, senkte Ben den Kopf und sprach zum Boden: »Nein, natürlich nicht. Ich zähle nicht als Mensch.«
    »Ach, Ben, du weißt doch, wie ich’s meine! Die Mutter glaubt, du kannst nicht einmal Deutsch, wie kann sie also etwas dagegen haben, wenn ich auf Deutsch auf dich einschwatze?«
    Zum Glück spielte Ben nicht lange den Gekränkten, sondern musste grinsen. »Deutsch hast du eben aber nicht geschwatzt. Ich hätte alles verstanden.«
    Tatsächlich merkten die Kinder oft kaum, wie sie zwischen Deutsch und Spanisch wechselten oder die Sprachen mischten, und zuweilen flocht Ben noch Worte in einer dritten Sprache ein, die nur sie beide kannten und die Katharina ihre Geheimsprache nannte. So sagte er zu ihr manchmal Ichtaca – den Namen hatte er sich für sie ausgedacht, und wenn sie ihn fragte, was er bedeute, lachte er. Katharina mochte ihn noch lieber als Palomita, Täubchen, den Kosenamen, bei dem ihr Vater sie rief.
    Jetzt aber wollte sie nicht länger von Sprachen reden, sondern das Erlebte loswerden, das ihr wie ein Klumpen in der Kehle saß. Nicht das seltsame Verhalten der Mutter war das Wichtigste, nicht der Malecon und nicht das Feuer der Kanonen, sondern der Junge, der durch ihre Schuld verprügelt worden war. »Hätte ich nicht ›Heda!‹ gerufen, hätten sie ihn nicht erwischt«, klagte sie sich an, nachdem die Geschichte aus ihr herausgesprudelt war. »Nur weil ich so ein Theater aufgeführt habe, ist das alles passiert.«
    »Glaubst du denn, er hätte nicht geprügelt werden sollen?«, fragte Ben bedächtig. »Er hat doch versucht euch zu bestehlen – muss er dafür nicht bestraft werden?«
    Katharina überlegte. Wie so oft gelang es ihr nicht, in Bens Miene zu lesen, sein Gesicht wirkte verschlossen, als ließe ihn die Sache kalt. »Bestraft werden schon«, erwiderte sie schließlich. »Die Sanne hat dem Hermann den Hintern versohlt, weil er ihr Korinthen geklaut hat, und Onkel Fiete hat gesagt, er nimmt’s ihr nicht übel, denn der Hermann hat’s redlich verdient. Aber der Hermann hat doch nicht geblutet! Geheult wie ein Wickelkind hat er und sich den Hosenboden gehalten, aber er lag nicht am Boden, und seine Lippe war nicht dick und wund!« Katharina stockte. Erneut vom Schrecken der Bilder gepackt, sah sie dem Freund ins Gesicht und glaubte auf einmal sein Auge schwellen und seine Lippe bluten zu sehen, während ihm das Haar schweißnass an der Stirn klebte.
    »Das ist einfach zu erklären«, bemerkte Ben ausdruckslos. »Dein Vetter Hermann ist kein Nahua. Wenn ein ordentlicher weißer Junge etwas stiehlt, braucht er ein bisschen Zucht, wenn’s aber ein Nahua-Junge tut, ist der ein Bandito, den man besser totschlägt.«
    Nahua war das Wort ihrer Geheimsprache, mit dem er Indios meinte. Aber wie konnte er so reden und dabei so unbeteiligt dasitzen? »Das ist falsch, was du sagst!«, rief sie. »Man schlägt doch kein Kind tot, weil es etwas nimmt, das man gar nicht braucht.«
    »Tut man das nicht?« Spöttisch hob er die Brauen.
    »Hör auf, dich über mich lustig zu machen«, herrschte sie ihn an. »Weißt du überhaupt, was das Schlimmste an dem Ganzen war?«
    »Woher soll ich das wissen?«
    »Der Junge«, schrie sie, »der Junge, den sie verprügelt haben, er sah aus wie du!« Dass ihr Tränen übers Gesicht liefen, bemerkte sie jetzt erst, und es ärgerte sie. Wenn er sich bei mir entschuldigt, werde ich ihn nicht so leicht davonkommen lassen, beschloss sie. Wenn er mir die Hand reicht, stoße ich sie weg und bin bestimmt bis heute Abend böse mit ihm.
    Ben reichte ihr nicht die Hand. Er entschuldigte sich auch nicht, sondern stand auf und klopfte sich die Hosen ab. »Gewiss doch«, sagte er noch immer ohne Ausdruck. »Ich bin ja einer von denen, und wir sehen alle gleich aus.
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher