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Im Kreis des Wolfs

Im Kreis des Wolfs

Titel: Im Kreis des Wolfs
Autoren: Nicholas Evans
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Frühlingsblumen am Hang, als sie vor der Hütte hielten. Buzz kam ihnen entgegengestürmt und bellte laut, da er den Lieferwagen nicht kannte. Als Helen schließlich ausstieg, sprang er um sie herum und wedelte mit dem Schwanz, als wollte er sich bei ihr entschuldigen. Aus der Hütte roch es nach Frühstück.
    Luke stand in der Tür.
    Er lächelte und blinzelte mit dem gesunden Auge in die Sonne. Der Anblick der schwarzen Klappe über dem anderen Auge war für Helen immer noch ein Schock, doch würde sie sie bestimmt bald ganz flott und verwegen finden.
    Er sah, dass sie geweint hatte, ging ihnen entgegen und nahm sie beide in die Arme. So standen sie eine Weile zu dritt da, die Köpfe in stummer Zwiesprache gesenkt, während Buzz um sie herumtollte.
    Die Kugel hatte Lukes Hals glatt durchschlagen, war gegen einen Felsen geprallt und ihm direkt ins linke Auge gedrungen. In der Zeit, die verstrich, bis der Hubschrauber eintraf und ihn zum Krankenhaus bringen konnte, hatte er eine Menge Blut verloren. Dass er überlebt hatte, war das reinste Wunder.
    Der Halsdurchschuss hatte vergleichsweise wenig Schaden angerichtet, an seinem Auge aber mussten die Ärzte stundenlang operieren. Es konnte zwar gerettet werden, doch würde Luke damit nie mehr richtig sehen können. Als er wieder zu sich kam, wollte er als erstes wissen, was mit den Welpen geschehen war.
    Nur der Welpe mit den Haken im Maul starb, die übrigen flog man in den Yellowstone-Park, wo Wolfsfamilien für sie gefunden wurden. Lukes Vater hatte der Polizei erzählt, wo sie den Trailer des Wolfsjägers finden konnte. Und kurz danach entdeckte ein Ranger das verlassene Schneemobil auf einer Lichtung oberhalb des Wrong Creek. Vom alten Mann selbst aber fand man nie auch nur eine Spur.
    Eigentlich hatte Luke zusammen mit Dan und Helen fahren, die Wölfe abholen und anschließend freilassen wollen, doch Dan sagte, falls etwas schiefgehe, sei es besser, wenn Luke nichts damit zu tun habe.
    »Hat alles geklappt?«
    »Problemlos.«
    »Schade, wenn wir doch nur bleiben und sie einmal heulen hören könnten.«
    »Vielleicht können Sie das ja eines Tages«, sagte Dan.
    »Habt ihr beide wenigstens Hunger?«
    »Und wie!«
    Sie setzten sich ins Gras vor der Hütte, aßen Spiegeleier mit Speck und Bratkartoffeln und spülten ihr Frühstück mit Kaffee und frisch gepresstem Orangensaft hinunter.
    Luke wollte, dass Helen mit ihm nach Minnesota kam. Sie würden sich eine Wohnung suchen, sagte er, und während er in seinen Seminaren saß, könne sie Forschungen betreiben und ihre Doktorarbeit zu Ende bringen. Und an den Wochenenden würden sie gemeinsam durch die Wildnis streifen.
    Vielleicht würde sie das ja tun. Sie hatte Zeit genug, um es sich zu überlegen.
    Merkwürdigerweise schien die Zukunft zum ersten Mal in Helens Erwachsenenleben keine Rolle mehr zu spielen. Es kam ihr so vor, als hätte das, was hier geschehen war, sie von ihrem alten Ich befreit. Vielleicht, so hatte Celia kürzlich in einem Brief angedeutet, habe sie nun ähnlich wie ihr Vater, der frischgebackene Buddhist, endlich gelernt, einfach nur zu
sein.
Allein auf das
Jetzt
kam es an und darauf, dass sie mit jenem Menschen zusammen war, den sie auf der Welt am meisten liebte.
    Nach dem Frühstück wollte sich Dan beim Aufräumen der Hütte nicht von ihnen helfen lassen. Vor ihnen liege eine lange Reise, sagte er, also verstauten sie ihre wenigen Habseligkeiten zusammen mit Buzz in Lukes Jeep. Dann gab Helen Dan die Schlüssel für den alten Pick-up zurück.
    »Siehst du?«, sagte er. »Er hat ein ganzes Jahr durchgehalten.«
    »Ich auch.«
    Sie wollten beide kein großes Aufheben um ihren Abschied machen, also umarmten sie sich und wünschten einander Glück. Dan witzelte, es sei typisch, dass sie gerade dann verschwinde, wo soviel zu tun sei. Er blieb am Jeep stehen, die Sonne im Rücken, als Helen und Luke einstiegen und sich anschnallten.
    »Engel mit dir«, sagte er.
    »Mit dir auch, Prior.«
    Als sie am Fluss entlangfuhren und die Pyramidenpappeln sich grün und silbern über ihnen wiegten, kamen sie an dem verfallenen Haus vorbei, in dem einst der Wolfsjäger gewohnt hatte. Jemand hatte ein Schild mit der Aufschrift »Verkauft« an einen Baum neben dem Eingangstor genagelt.
    Sie sahen kein bekanntes Gesicht auf ihrer Fahrt durchdie Stadt, bogen schließlich ostwärts ab und fuhren hinunter ins Tal.
    Als sie die Brücke passierten, ließ Helen den Wagen langsamer werden und hielt an. Ein letztes Mal
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