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Im Kreis des Wolfs

Im Kreis des Wolfs

Titel: Im Kreis des Wolfs
Autoren: Nicholas Evans
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einige dieser Bäche in den Fluss, der sich durch Pappelgehölz bis Hope und von dort weiter zum Missouri schlängelte.
    All dies konnte der Wolf überblicken. Er stand auf einer Kalksteinnase, die wie der Bug eines versteinerten Schiffes aus dem Wald herausragte. Unter ihm fiel das Land in einer keilförmigen Geröllnarbe steil bis dorthin ab, wo Berg und Wald widerwillig dem Weideland wichen. Vereinzelt grasten schwarze Kühe und Kälber träge im Schatten, und am Fuß der Weide stand ein kleines Ranchhaus.
    Es war auf einer Anhöhe errichtet worden, dort, wo der von Weiden und Weichselbäumen gesäumte Bach einenBogen machte. Scheunen standen an der einen, der weiße Zaun eines Korrals auf der anderen Seite. Das schindelbedeckte Haus selbst war gerade mit ochsenblutroter Farbe gestrichen worden. An der Südseite erstreckte sich eine Veranda, die nun, da die Sonne hinter den Bergen versank, in goldenes Abendlicht getaucht war. Die Fenster entlang der Veranda standen weit offen, und dünne Baumwollvorhänge bewegten sich sacht in der Abendluft.
    Aus dem Innern drang von irgendwoher das Plärren eines Radios, und vielleicht war es deshalb für den, der sich im Haus befand, nicht einfach, das Weinen des Babys zu hören. Der dunkelblaue Kinderwagen auf der Veranda schaukelte ein wenig, rosige Arme streckten sich über den Rand und schienen um Aufmerksamkeit zu heischen. Doch niemand kam. Endlich gab das Baby auf, ließ sich vom Spiel des Sonnenlichts auf seinen Händen und Armen ablenken und begann, vor sich hin zu babbeln.
    Nur der Wolf hörte das Baby.
     
    Kathy und Clyde Hicks wohnten jetzt seit fast zwei Jahren im roten Haus, und wenn Kathy ehrlich zu sich war (was sie meist nicht war, da man sowieso nichts tun konnte, warum es sich also schwermachen?), hasste sie es hier draußen.
    Nun ja, vielleicht war hassen ein zu starkes Wort. Die Sommer waren in Ordnung. Doch selbst dann hatte man das Gefühl, zu weit von der Zivilisation entfernt zu sein, zu ausgesetzt. An die Winter wagte sie erst gar nicht zu denken.
    Vor zwei Jahren waren sie hergezogen, gleich nachdem sie geheiratet hatten. Kathy hatte gehofft, dass sich ihre Einstellung durch das Baby ändern würde, und in gewisser Weise hatte sie das auch getan. Wenigstens konnte sie jetzt mit jemandem reden, wenn Clyde auf der Ranch arbeitete, obwohl die Unterhaltung vorläufig noch etwas einseitig war.
    Sie war dreiundzwanzig, und manchmal wünschte sie sich, sie hätte noch ein paar Jahre mit dem Heiraten gewartet, statt sich gleich nach dem College darauf einzulassen. Sie besaß einen Abschluss in Agrarwirtschaft von der Montana State University in Bozeman, doch bislang hatte ihr das verdammte Ding nur damals genutzt, als sie drei Tage in der Woche Daddys Papierkram im Haupthaus erledigt hatte.
    Das Haus ihrer Eltern war für Kathy immer noch ihr Zuhause, und sie hatte deshalb schon oft Krach mit Clyde gehabt. Es lag nur einige Meilen die Straße hinunter, doch sooft sie einen Tag dort verbrachte und mit dem Auto wieder hierher zurückfuhr, überkam sie ein Gefühl, das zwar nicht unbedingt einem Schmerz glich, aber doch so etwas wie ein dumpfes Bedauern war. Sie verdrängte derlei rasch wieder, indem sie auf das Baby hinten im Auto einschwatzte oder das Radio einschaltete, laut aufdrehte und mitsang.
    Sie hatte ihren Lieblingssender eingestellt, und als sie am Spülbecken stand, Mais schälte und auf die Hunde schaute, die vor der Scheune in der Sonne dösten, fühlte sie sich schon wieder besser. Sie spielten einen Song von dieser Kanadierin mit der mörderischen Stimme, die ihrem Mann gestand, wie sehr es ihr gefalle, wenn er »ihren Traktor« anwarf. Bei dieser Stelle musste Kathy immer lachen.
    Also wirklich, sie sollte dankbar für das sein, was sie hatte: einen prächtigen Mann nämlich und ein hübsches, gesundes Baby; und auch wenn dieses Haus am Arsch der Welt lag, so war es doch ihr eigenes. Genügend Leute in Hope hätten eine Menge dafür gegeben. Außerdem war sie groß, hatte wunderschönes Haar und nach der Geburt zwar noch nicht ganz ihre alte Figur wieder, aber sie wusste trotzdem, dass sie damit jeden »Traktor anwerfen« konnte, der ihr gefiel.
    Selbstbewusstsein war für Kathy nie ein Problem gewesen. Sie war Buck Calders Tochter, und was Besseres gab es in dieser Gegend nicht. Die Ranch ihres Daddys war eine der größten auf dieser Seite von Helena, und als Kind hatte sich Kathy wie eine Prinzessin gefühlt. Zu den wenigen Dingen, die ihr
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