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Im Kreis des Wolfs

Im Kreis des Wolfs

Titel: Im Kreis des Wolfs
Autoren: Nicholas Evans
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rot. Erneut schrie Kathy auf, und der Wolf zuckte zusammen, als habe er vergessen, dass sie auch noch da war. Er starrte sie an, und Kathy konnte das helle Blut auf seinem Gesicht sehen.
    »Verschwinde von hier! Hau ab! Los!«
    Sie blickte sich suchend nach etwas um, mit dem sie nach ihm werfen konnte, aber das war nicht mehr nötig. Der Wolf rannte bereits davon, und Augenblicke später duckte er sich unter dem Zaun hindurch und lief an den Kühen vorbei, die im Grasen innehielten, um sich das Schauspiel anzusehen. Am oberen Weiderand blieb der Wolf stehen und schaute dorthin zurück, wo Kathy, das Kind an sich gepresst, noch immer über den toten Hund gebeugt stand und weinte. Dann drehte er sich um und verschwand im Schatten des Waldes.

2
    Die Büros des Fish & Wildlife Service, der staatlichen Forst- und Fischereiwirtschaft, die für die Wiederansiedlung von Wölfen verantwortlich war, lagen im zweiten Stock eines schlichten roten Ziegelgebäudes in einem ruhigen Viertel von Helena. Kein Hinweisschild machte auf diese Bürosaufmerksam, und gäbe es ein Schild, würde es sie wohl nicht mehr lange geben. In dieser Gegend lebten Menschen, die etwas gegen staatliche Agenturen hatten, vor allem gegen jene, deren einzige Aufgabe es war, das grässlichste Raubtier zu schützen, das Gott je geschaffen hatte. Dan Prior und sein Team wussten aus Erfahrung, dass man sich besser im Hintergrund hielt, wenn es um Wölfe ging.
    Im vorderen Büro stand ein Glasschrank, aus dem ein ausgestopfter Wolf mit mehr oder minder gütigem Blick auf ihre Arbeit schaute. Das Schild an der Seite informierte den Betrachter, dass der Schrank einen
Canis lupus irremotus, Northern Rocky Mountain Wolf
beherbergte. Doch aus Gründen, die nun niemand mehr im Büro so recht nachvollziehen konnte, nannten ihn alle Fred.
    Dan hatte es sich angewöhnt, mit Fred zu reden, besonders in diesen langen Nächten, in denen die anderen bereits nach Hause gegangen waren und er allein versuchte, wieder einmal ein politisches Problem zu lösen, in das er durch Freds lebendigere Geschwister geraten war. Bei solchen Gelegenheiten fielen Dan oft noch andere, weit deftigere Namen für seinen stummen Gefährten ein.
    Heute Abend jedoch würde es keine solchen Zwiegespräche geben. Zum ersten Mal nämlich seit Urzeiten wollte Dan früh Schluss machen. Er hatte eine Verabredung. Und da er den Fehler begangen hatte, sie zu erwähnen, zogen ihn nun alle Kollegen schon seit einer Woche damit auf. Als er aus dem Büro kam und noch einige Papiere in seine Tasche stopfte, riefen sie wie im Chor: »Viel Spaß heute Abend, Dan!«
    »Besten Dank«, presste er zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor, und alle lachten. »Würde mir bitte mal jemand erklären, was an meinem Privatleben so interessant ist?«
    Donna, seine Assistentin, grinste ihn an. Sie war eine große, resolute Frau Ende dreißig, die das Büro voller Gelassenheit und Humor führte, den sie selbst in extrem hektischen Momenten nicht verlor. Sie zuckte mit den Schultern.
    »Muss wohl daran liegen, dass Sie bis jetzt keines gehabt haben.«
    »Ihr seid alle gefeuert.«
    Er machte eine abschätzige Handbewegung, befahl Fred, sich das Grinsen zu verkneifen, und griff nach der Türklinke, als das Telefon läutete.
    »Bin schon weg!«, rief er Donna zu und verschwand.
    Er drückte den Fahrstuhlknopf und wartete, während hinter der Tür aus rostfreiem Stahl die Kabel surrten und ratterten. Dann ertönte ein helles »Ping«, und die Tür ging auf.
    »Dan!«
    Er wartete und hielt per Knopfdruck die Tür offen, während Donna über den Flur auf ihn zurannte.
    »Wie gut kennen Sie Ihr neues Privatleben schon?«
    »Wissen Sie, Donna, gerade habe ich daran gedacht, Ihnen eine Gehaltserhöhung zu geben.«
    »Tut mir leid, aber ich glaube, das sollten Sie sich lieber anhören. Ein Farmer namens Clyde Hicks aus Hope hat angerufen. Er behauptet, ein Wolf habe gerade versucht, seinen kleinen Jungen zu töten.«
    Zwanzig Minuten und ein halbes Dutzend Anrufe später, saß Dan in seinem Wagen und war auf dem Weg nach Hope. Vier der Anrufe galten Wildhütern, Rangern der Bundesforstverwaltung und anderen Leuten von Fish & Wildlife, die gefragt wurden, ob sie etwas über Wolfsaktivitäten in der Gegend von Hope gehört hatten. Das Resultat war negativ. Der fünfte Anruf ging an Bill Rimmer, den Vertreter der Behörde für Raubtierüberwachung, mit derBitte, ihn in Hope zu treffen, um eine Kadaveruntersuchung an einem Hund
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