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Im Kreis des Wolfs

Im Kreis des Wolfs

Titel: Im Kreis des Wolfs
Autoren: Nicholas Evans
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am Verheiratetsein nicht gefielen, gehörte, dass sie ihren Namen hatte aufgeben müssen. Sie hatte Clyde sogar vorgeschlagen, dass sie sich, wie neuerdings eine dieser berühmten Karrierefrauen, einen Doppelnamen zulegte und sich Kathy Calder-Hicks nannte. Klar, hatte Clyde gesagt, warum nicht, aber sie hatte ihm angesehen, wie wenig ihm der Gedanke gefiel, und um ihm nicht weh zu tun, hatte sie sich schließlich mit dem schlichten, grundsoliden Namen Kathy Hicks zufriedengegeben.
    Sie schaute auf die Uhr. Es ging auf sechs zu. Clyde war mit ihrem Daddy unten auf der Wiese, um dort nach einem Bewässerungsgraben zu sehen, und gegen sieben wollten sie zum Essen kommen. Ihre Mom würde jeden Augenblick mit einem Kuchen auftauchen, den sie zum Nachtisch gebacken hatte. Kathy räumte den Abfall aus dem Becken, setzte die Maiskolben auf, wischte sich die Hände an der Schürze ab und stellte das Radio leiser. Jetzt musste sie nur noch die Kartoffeln schälen. Sobald das erledigt war, würde Buck junior dort draußen auf der Veranda bestimmt schon lauthals nach seinem Brei verlangen, und sie würde ihn füttern, um ihn dann anschließend zu baden und für seinen Opa schön zu machen.
     
    Wie auf Kommando hoben die Kühe auf der oberen Weide den Kopf, als der Wolf zwischen den Bäumen auftauchte und stehenblieb. Eine solche Kreatur hatten sie nie zuvor gesehen. Vielleicht hielten sie ihn für einen großen, dunklen Kojoten. Kojoten waren nur kurz nach dem Kalben gefährlich.Vielleicht hielten sie ihn aber auch für einen der Farmhunde, die manchmal durch ihre Herden streiften, und auf die musste man nur dann achtgeben, wenn sie einem nach den Fesseln schnappten, damit man dorthin ging, wo man eigentlich nicht hingehen wollte.
    Der Wolf seinerseits schenkte ihnen kaum Beachtung. All seine Sinne waren auf etwas anderes gerichtet, etwas dort unten am Haus, und er senkte den Kopf und lief die Wiese hinunter. Er bewegte sich jetzt langsamer, mit größerer Vorsicht, umging die Herde nicht, sondern schlich sich mitten hindurch. Doch war seine Gleichgültigkeit so offensichtlich, dass ihm kein Tier aus dem Weg ging und sich bald alle wieder über das Gras hermachten.
    Als die Sonne hinter den Bergen verschwand, näherte sich eine Schattenlinie über das Gras dem Haus, stieg wie eine Flut die Veranda hinauf und kroch schließlich über die Räder und das Chassis des Kinderwagens, so dass die ochsenblutroten Wände dahinter zu dunklerem Rot gerannen.
    Der Wolf hatte inzwischen das Ende der Wiese erreicht und verharrte am Zaun, dort, wo Clyde eine Wasserleitung verlegt und eine alte Emaillewanne aufgestellt hatte, um das Vieh tränken zu können, sollte der Bach einmal austrocknen. Zwei Elstern brachen aus dem Weidengestrüpp am Bach hervor, schossen einige Male im Sturzflug auf ihn herab und schimpften ihn aus, als ahnten sie seine Pläne und hielten nicht viel davon. Der Wolf beachtete sie nicht weiter. Aus dem Kinderwagen, der kaum zehn Meter entfernt stand, drangen Geräusche, die denen der Vögel recht ähnlich waren. Das Baby kreischte vor Begeisterung über die eigenen Laute und gab gleich noch mehrere Zugaben. Im Haus klingelte das Telefon.
    Es war Kathys Mutter. Der Kuchen sei ihr angebrannt,aber keine Sorge, sie habe noch etwas in der Gefriertruhe, das sie in der Mikrowelle warm machen könne.
    »Außerdem hat Luke gesagt, dass er mitkommen möchte, falls ihr nichts dagegen habt.«
    »Natürlich haben wir nichts dagegen.«
    Luke, Kathys Bruder, war gerade achtzehn geworden. Er kam wunderbar mit dem Baby zurecht, wenn sie ihn unten auf der Ranch traf, aber mit Clyde hatte er Probleme, und seit ihrer Heirat war Luke erst ein paar Mal hier im Haus gewesen. Als Kinder hatten sie sich nie besonders gut verstanden. Aber eigentlich verstand sich niemand besonders gut mit Luke, Mom natürlich ausgenommen. Sie war allerdings auch die Einzige, die mit seinem Gestotter umzugehen wusste.
    Kathy war stets zu ungeduldig gewesen. Selbst als sie alt genug war, es besser zu wissen, musste sie einfach die Sätze für ihn zu Ende bringen, wenn er ins Stocken geriet. Seit er vor einigen Monaten seinen Abschluss an der Highschool gemacht hatte, war sie ihm kaum begegnet. Kathy fand, dass er immer mehr zu einem Einzelgänger wurde, der sich ständig allein in der Wildnis herumtrieb, in die ihn nur dieses komisch aussehende Pferd begleitete.
    Jedenfalls kam er zum Abendessen, und das war gut so.
    Ihre Mutter fragte nach dem Baby, und Kathy
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