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Im Koma

Titel: Im Koma
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locker um sie gelegt.
    Vielleicht konnte sie sich deshalb nicht bewegen. Vielleicht war Warren halb auf ihr liegend eingeschlafen oder sie hatte sich in ihre Daunendecke gewickelt wie in einen Kokon, sodass sie sich jetzt nicht mehr rühren und ihre Arme und Beine nicht mehr spüren konnte. Aber noch während Casey diese Gedanken dachte, wusste sie, dass das nicht stimmte. Sie konnte immer spüren, wenn ihr Mann in ihrer Nähe war. Und jetzt spürte sie gar nichts.
    Warren Marshall war beinahe 1,80 Meter groß und knapp 85 Kilo schwer mit einem muskulösen Körper, den er dreimal die Woche in einem kleinen schicken Fitnessstudio in dem Nobelvorort Rosemont trainierte, wo sie wohnten. Casey konnte keinen Hauch seiner Gegenwart ausmachen, keine Spur seines sauberen, männlichen Geruchs.
    Nein, Warren war nicht hier, wie ihr klar wurde, während neue Panik sie befiel. Niemand war hier. Sie war ganz allein.
    Und sie träumte auch nicht.
    »Hilfe«, rief sie. »Irgendjemand, bitte helfen Sie mir.«
    Ihre Worte hallten in ihrem Kopf wider. Casey lag in ihrem schwarzen Loch, wartete vergeblich darauf, dass ihre Augen sich an die Dunkelheit gewöhnten, und begann leise zu weinen.
    Sie schlief ein und träumte, dass sie mit ihrem Vater Golf spielte. Sie war erst zehn, als er sie zum ersten Mal mit in den exklusiven Merion Golf Club genommen hatte, dessen Mitglied er war. Stundenlang hatte er mit ihr geduldig an der Perfektion ihres Schwungs gearbeitet und jedem in Hörweite stolz erklärt, dass sie ein Naturtalent sei. Sie war zwölf, als sie zum ersten Mal unter hundert Schlägen geblieben war, fünfzehn, als sie ihre erste Runde unter neunzig gespielt, zwanzig, als sie zum ersten Mal vom Abschlag eingelocht hatte. Sie erinnerte sich, ihrer jüngeren Schwester Hilfe angeboten zu haben, was Drew jedoch rundweg abgelehnt hatte, um lieber hilflos um sich zu dreschen, wütend den Schläger auf den Boden zu werfen und beleidigt vom Platz zu stürmen. »Lass sie«, hörte sie ihren Vater sagen. »Du bist die Sportlerin in der Familie, Casey.« Schließlich hatte er sie nach Casey Stengel benannt, erinnerte er sie. »Okay, schon gut, falsche Sportart, ich weiß«, pflegte er lachend zu sagen, und ihre Mutter verdrehte jedes Mal die Augen und wandte sich ab, um ein Gähnen zu unterdrücken, weil sie die Anekdote schon zu oft gehört hatte, um sie noch im Entferntesten amüsant zu finden. Wenn sie überhaupt je darüber hatte lachen können.
    »Okay, kann mich bitte jemand auf den neuesten Stand bringen?«, hörte Casey ihren Vater jetzt sagen.
    Sie spürte einen Wirbel in der Luft um ihren Kopf, als ob jemand in der Nähe ihres Gesichts ein Tamburin schlug.
    »Ja, Dr. Peabody«, sagte ihr Vater.
    Wer war Dr. Peabody? Ihr Hausarzt war, so lange Casey sich erinnern konnte, schon immer Dr. Marcus gewesen. Wer also war dieser Dr. Peabody? Und was hatte er in ihrem Traum zu suchen?
    Erst jetzt wurde Casey bewusst, dass sie nicht mehr schlief und dass die Stimme, die sie gehört hatte, nicht die ihres verstorbenen Vaters, sondern die eines Menschen war, der gesund und munter nicht weit entfernt von ihr stand. Es war nach wie vor stockfinster, sodass sie niemanden sehen konnte. Aber sie war zumindest nicht mehr alleine, wie sie dankbar registrierte. Und die Stimmen kamen definitiv aus der Nähe. Früher oder später musste jemand auf sie stoßen. Sie musste sich nur bemerkbar machen.
    »Hier bin ich«, rief sie.
    »Die Patientin«, antwortete irgendjemand, ohne sie zu beachten, »ist eine zweiunddreißigjährige Frau, Opfer eines Unfalls mit Fahrerflucht vor etwa drei Wochen. Am 26. März, um genau zu sein.«
    »Hey, Sie«, rief Casey. »Dr. Peabody, nehme ich an! Ich bin hier!«
    »Sie wird künstlich ernährt und beatmet, nachdem sie ein schweres Polytrauma inklusive multipler Frakturen von Becken, Beinen und Armen erlitten hat, die komplizierte Operationen erforderlich gemacht haben«, fuhr der Arzt fort. »Die externe Fixation ist noch mindestens einen weiteren Monat notwendig, genau wie die Gipsverbände an ihren Armen. Gravierender waren massive Unterleibsblutungen, die zu Blutfluss in die Bauchhöhle geführt haben. Bei einem Bauchschnitt wurde ein Milzriss festgestellt, worauf eine Splenektomie durchgeführt wurde.«
    Wovon zum Teufel redete er?, fragte Casey sich. Über wen redete er? Und warum drang die Stimme nur in Wellen zu ihr vor, in einem Moment klar und kräftig, im nächsten schwach und beinahe unverständlich? War es
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