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Im Jahre Ragnarök

Titel: Im Jahre Ragnarök
Autoren: Oliver Henkel
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Sperber den Kopf und keuchte ein gehässiges Lachen hervor; aus seinem Mund floss im erlahmenden Takt seines Pulsschlags stoßweise Blut.
Greta drehte sich zu ihm um und blickte auf ihn hinab. Ihr Gesicht, eine Sekunde zuvor noch kreideweiß, lief zornesrot an. »Was ich dir schon vorhin sagen wollte, du Bastard …«, presste sie mit zusammengebissenen Zähnen hervor. Weiter sprach sie nicht, sondern trat ihm so fest ins Gesicht, dass seine Vorderzähne brachen.
»Niemand nennt mich eine Schlampe«, zischte sie. »Hure, meinetwegen. Aber nicht Schlampe!«
Der Sturmbannführer krümmte sich, seine Augen quollen vor Schmerz aus den Höhlen. Mühevoll rang er sich ein letztes Wort ab und krächzte erstickt: »Versager!«
Noch einmal sprudelte ein letzter dickflüssiger roter Schwall aus seinem Rachen, dann sackte sein Kopf ins Gras. Niemand beachtete seinen Tod.
Dünnbrot und Chantal schlossen sich wortlos eng in die Arme. Tubber suchte Gretas Hände und nahm sie fest in seine.
Die vier Menschen schlossen die Augen und warteten gefasst darauf, dass sie zu existieren aufhörten.

Und dann knackte es. Es knackte, als würde ein riesiger Knochen langsam brechen.

Tubber schlug als Erster wieder die Augen auf und blickte ungläubig hinab ins Tal. Ein Riss zeigte sich im grauen Beton der Staumauer. Er wuchs rasant an, verzweigte sich, breitete sich aus und wucherte unter einem gedehnten Knirschen, das zu einem schweren steinernen Ächzen anschwoll. Wasser lief aus den Rissen, dünne Rinnsale zunächst, dann sprengte der Druck ganze Betonbrocken heraus und ließ Wasserstrahlen herausschießen.
Unter infernalischem Getöse barst die Talsperre. Die Wassermassen brachen durch die Staumauer.

Himmler starrte entgeistert auf die fünfzig Meter hohe Wasserwand, die auf ihn zuraste. Die SS-Männer liefen auseinander und rannten um ihr Leben. Doch es war vergeblich.
Die Flutwelle schlug über ihnen zusammen. Was sie nicht unter sich begrub, das riss sie mit sich. Baracken, Fahrzeuge und tausend Menschen wurden verschlungen.
Brüllend wälzte sich die entfesselte Flut durch das Tal.
Nichts und niemand konnte ihr entkommen.
* * *
    Die tief hängenden bleigrauen Wolken hatten sich verzogen und einem klaren blauen Himmel Platz gemacht. Das helle Licht der strahlenden Märzsonne fiel auf das Szenario der Vernichtung.
Dunkler Schlamm bedeckte die Talsohle; das restliche Wasser, das noch aus der riesigen Bresche in der Staumauer rann, suchte sich etwa in der Mitte seinen Weg und floss dahin wie ein friedlicher Bachlauf, an dessen Ufern entwurzelte Bäume und nur gelegentlich verdrehte Arme und Beine aus dem Morast ragten. Von den Bäumen, die oberhalb der Grenze der Zerstörung standen, tropfte der emporgeschleuderte Schlick. Nichts war vom Baldur-Gerät, von Himmler, seinen Männern und seinen Plänen übriggeblieben.

Tubber, Greta, Dünnbrot und Chantal waren den Hang hinabgestiegen und standen nun am Rand der Schlammmassen, aus denen im Sonnenschein ein modriger Gestank aufzusteigen begann. Stumm schauten sie auf die Verwüstung.
»Und nun?«, sagte Dünnbrot schließlich. Er klang entkräftet und müde.
»Eigentlich sollten wir jetzt Helden sein«, meinte Tubber matt.
Er brauchte nicht weiterzusprechen. Alle wussten, dass sie keine Helden sein würden. Wer sollte ihnen jemals die obskure Geschichte von zeitreisenden Nazis glauben? Sie konnten weder Zeugen noch Beweise vorbringen. Nur ihr Wort. Und das war wertlos.
Chantal hatte die Arme vor der Brust verschränkt. Trotz der wärmenden Sonne fror sie. »Smith wird das alles zurechtbiegen, wie es ihm am besten in den Kram passt«, prophezeite sie düster. »Wem wird man glauben, ihm oder uns? Am Ende müssen wir froh sein, wenn wir nicht in einem CIG-Gefängnis landen.« »Sollten wir nicht von hier verschwinden, ehe Smith kommt?«, fragte Greta.
Der Ton ihrer belegten Stimme war so schlingernd und flau, dass deutlich wurde, wie aussichtslos ihr selbst diese Idee schien.
Tubber schüttelte den Kopf. »Und wohin? Wir haben keinen Ort, an den wir gehen könnten. Kein Zuhause. Kein Geld. Und wir werden als Verbrecher gesucht.
Wir sind am Ende der Straße angelangt.«
Und ich habe euch da hineingerissen , setzte Tubber in Gedanken hinzu. Aber ihm fehlte der Mut, es auszusprechen.
Plötzlich stieß Dünnbrot ihn aufgeregt an. »Sehen Sie mal! Da!«
Kaum zwei Meter entfernt hatte das sich verlaufende Wasser eine halb aus dem Schlamm ragende Kiste freigegeben. Tubber konnte nichts
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