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Im Herzen des Kometen

Im Herzen des Kometen

Titel: Im Herzen des Kometen
Autoren: Gregory Benford , David Brin
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und statt um den Jupiter eine verlangsamende Schleife zu ziehen und zum inneren Sonnensystem zurückzukehren, war der Kometenkopf mit noch wachsender Beschleunigung nach außen gelenkt worden, fort von der Sonne, die nun weit hinter dem davonsausenden Staubkorn zurückblieb und deren Strahlung und Einfluß von Tag zu Tag abnahmen.
    Während des Vorbeiflugs an den gestreiften Riesen hatte Virginia die Mienen derjenigen beobachtet, die das Manöver auf den Bildschirmen verfolgt hatten. Sie waren still und beklommen gewesen, hatten jetzt erst die Ungeheuerlichkeit dessen begriffen, was vor ihnen lag.
    Jetzt, Jahre später, war die trübe Resignation jener Tage gewichen. Mehrere Jahrhunderte würden verstreichen, ehe sie jene Regionen erreichten, wo die kleinen Eiswelten sich in einem riesigen Bienenschwarm zusammendrängten. Enorme Entfernungen trennten sie voneinander, doch bedeuteten enorme Entfernungen draußen im interstellaren Raum wenig.
    Diese entfernten Eisbälle wurden nun, da alle greifbaren Hoffnungen zerstoben waren, zum verheißungsvollen Ziel. Sie enthielten frische Vorräte an Metallen und flüchtigen Elementen. Es würde eine nächste Generation geben, und eine übernächste. Sie brauchten diese Hilfsquelle; sie brauchten Hoffnung.
    Carl, Lani und alle anderen waren gefangen im natürlichen Prozeß des Alterns und Vergehens. Da sie Kinder aufzuziehen hatten, konnte sie nicht zurück in die Kühlfächer; eine Rückkehr zur normalen Lebenserwartung und natürlichen Generationenfolge zeichnete sich ab. Saul hingegen konnte vielleicht überdauern, es sei denn, ein Unfall raffte ihn hinweg. Und selbst im Falle seines Todes lebte er in seinen Duplikaten fort. Sie würden immer einen Saul haben.
     
    Zorn, Frustration, Verzweiflung – sie alle lernte Virginia als zeitweiliges Wetterleuchten der individuellen Seele kennen, Flächenblitze über einer immerwährenden Dunkelheit. Menschen hatten eine Reaktionszeit, die aus der Notwendigkeit entsprang, entweder zu kämpfen oder die Flucht zu ergreifen. Ihr Dasein verhielt sich zum langsamen Gang der Welten wie das Leben einer Eintagsfliege zum Römischen Reich.
    Mit der allmählichen Verlangsamung des Kometen auf seinem Weg aus dem Anziehungsbereich der Sonne wandte Virginias Aufmerksamkeit sich von wissenschaftlichen Fragen ab – obwohl sie weiterhin Daten sammelte, Theorien formulierte und mit Saul und den anderen diskutierte – und größeren Zusammenhängen zu.
    Was Descartes einst gedacht hatte, mußte sie nachvollziehen. Sie fragte sich, welche Schlüsse aus Grundprinzipien zu ziehen waren. Cogito, ergo sum? Aber wer war das Ich, das die Erklärung abgab?
    Im wissenschaftlichen Sinne war sie ein neues Phylum, nicht mehr ein Wirbeltier, sondern bio-kybernetisch. Sie war eine Vereinigung des Organischen mit dem Elektronischen, mit einem Schuß menschlichen Bewußtseins. Streng genommen, sollte ein Phylum oder Stamm durch die natürliche Auslese der Evolution entstehen. Aber sobald die Intelligenz auf dem Plan erschienen war, wollte sie diesen seit Äonen gültigen natürlichen Prozeß für sich selbst nicht mehr anerkennen. Höherentwicklung durch naturgemäße biologische Auslese erschien ihr politisch untragbar. Ein neues menschliches Phylum durfte, wenn überhaupt, nur durch Planung und gesteuerte Entwicklung entstehen.
    Die Virginia, die jetzt in gekühlten Synapsen und holographischen Projektionen hauste, war genau genommen nicht mehr menschlich. Gleichwohl hatte sie eine Unzahl menschlicher Kennzeichen und Effekte, Facetten und Fehler. Sie konnte die Beunruhigungen und Kümmernisse von Saul und Carl und Jeffers und Lani ebensowenig ignorieren wie sie ihre Kindheit vergessen konnte, die rauhe Zärtlichkeit ihres Vaters.
    Aber sie war mehr. Die Freude, die Carl und Lani in ihrer kleinen Familie gefunden hatten, schmerzte sie bisweilen; Sauls sehnsüchtiges Heimweh nach ihrer körperlichen Gestalt brachte ärgeren Schmerz. Doch obgleich sie dies alles verstand und wußte, sah sie es als den größeren Sachverhalten, die sie konfrontierten, untergeordnet. Diese hinfälligen Menschen waren eingebunden in das vergängliche Leben, das Gesetze natürlicher Selektion ihnen bestimmt hatten; ihr Tod war schon bei der Geburt als Keim in ihnen angelegt. Selbst Saul, ihr Gefährte in der Unsterblichkeit, war von Flut und Ebbe der Hormone abhängig.
    In der Oort-Wolke kreisten ungezählte Kometenkerne unter einem schwarzen Sternhimmel, mehr Land, als irgendeiner
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