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Im Dutzend vielfältiger

Im Dutzend vielfältiger

Titel: Im Dutzend vielfältiger
Autoren: Nicole Rensmann
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Ohr. Sie nickt. »Ich glaub ja. Sie hat das nicht gemerkt, Daddy.«
    »Ich bring dich Heim.«
    »Ihr Seminar ist noch nicht beendet, Frank.«
    »Doch, Stiller. Das ist es. An dieser Stelle ist alles beendet.«
    »Es war doch nur ein Experiment. Regen Sie sich nicht auf. Er hat es verdient.«
    »Ich bin nicht hier, um darüber zu richten.« Ich hob Ella hoch. »Er hat es vielleicht verdient, sie aber nicht.«
    Als ich ging, versuchte Mike, sich mir in den Weg zu stellen. »Stiller hätte es nie zugelassen.«
    »Du bist naiv, Mike. Du und all die anderen. Viel Spaß. Ich bin raus!«
    Keiner hielt mich auf, keiner verfolgte mich.
     
    Ich zeigte Stiller und meine Kollegen an. Die Anzeige wurde aufgenommen, doch der Staatsanwalt teilte mir schon eine Woche später per Brief mit, dass es nicht zur Klage käme. Diese Experimente waren vom Land genehmigt. Der Mann hatte seine Strafe erhalten. Kollateralschäden wurden geduldet.
    Ich war machtlos.
    Dabei war ich der Einzige des Experiments, der nicht machtlos gehandelt hatte. Ich hatte bestanden, alle Anderen waren durchgefallen.
    Stolz spürte ich jedoch nicht.

Gute Nacht!
    (2009)
     
    Es herrschte eine selten ausgelassene Stimmung, während wir über die Autobahn brausten und lautstark »Geile Zeit« sangen. Juli klang besser, unser Familienchor schöner. Max’ piepsige Stimme, die an eine Maus aus einem Disney Film erinnerte und seine große Schwester Marina, die mit ihren zehn Jahren fast perfekt sang, trieben mir vor Stolz die Tränen in die Augen. Noch nie waren wir weiter als bei Oma gewesen, vierzig Kilometer von Zuhause entfernt. Wir freuten uns auf unseren ersten Urlaub.
     
    Mit einem Mal blinkten die Rücklichter des vor uns fahrenden Lastwagens auf. Stopp! Doch dafür war es zu spät.
    Jo blieb keine Zeit mehr auszuweichen oder zu bremsen.
     
    Ich hatte heimlich Lotto gespielt und das Glück herausgefordert. Bisher war ein Urlaub nie möglich gewesen, doch das Glück schenkte uns mehrere Tausend Euro; genug für eine Reparatur am Haus und den lang ersehnten Urlaub. Wir fuhren ans Meer, vierzehn Tage. Vor Aufregung schliefen wir die Nächte vorher kaum und bei der Abfahrt plapperten alle durcheinander. Ein Geräusch, das mir – als Einzige, die sich vom Packen gestresst fühlte – auf die Nerven gefallen war.
    Wie sehnte ich mich jetzt danach zurück.
     
    Als wir mit einhundert Stundenkilometern gegen den Lastwagen prallten, erschien mir dessen Warnung überdimensional und verräterisch: Bitte halten Sie Rangierabstand.
    Zu spät.
    Der Knall ließ das Trommelfell meines linken Ohrs platzen.
    Die Airbags lösten aus. Ich fühlte mich wie in einem Film. Hauptrolle. Zeitlupe.
    Und schon der nächste Moment brach über mir zusammen wie ein Tsunami. Meterhohe Wellen überschwemmten meine noch vor Sekunden verspürten, unerschütterlichen, oh so trügerischen Glücksgefühle. Doch es war kein Wasser, das mich zu ertränken drohte, sondern Panik.
    Dann ein Augenblick der Stille. Bevor das Ende begann.
    Ich drohte zu ersticken, ruderte mit den Armen, kämpfte mich frei. Rang nach Luft. Atmete.
    Die Kinder.
    Jo.
    Zu hastig drehte ich meinen Kopf nach links. Ein Schmerz zuckte durch meinen Rücken, real, stark. Dann sah ich Jo, meinen Mann, Geliebten. Seine Arme waren grotesk verrenkt, sein Gesicht zum Seitenfenster gedreht. Er stöhnte.
    Max. Marina. Ich wollte mich zu meinen Kindern wenden, mich losmachen, musste zu ihnen, aussteigen, Hilfe holen. Meine Gedanken stolperten über unüberwindbare Hürden. Eine betäubende Steifheit breitete sich über meinen Körper aus, die mir verbot mich umzudrehen. Ich schielte auf die Rückbank.
    Oh Gott, bitte lass mit den Kindern alles in Ordnung sein!
    Ich glaubte, ein Wispern zu hören. »Mama.«
    Und sah Max, der hinter Jo saß. Er hing mit geschlossenen Augen und einer blutenden Wunde am Kopf in seinem Sitz. Tot? Ich rief seinen Namen, schrie nach Marina, nach Hilfe, fingerte an meinem Gurt, die Lähmung bekämpfend, versuchte in meine Hosentasche zu greifen, in der mein Handy steckte. Alles gleichzeitig. Schmerzen spürte ich nur in meinem Herzen, unerträgliche Schmerzen. Noch einmal sah ich zurück und erhaschte aus den Augenwinkeln den Anblick von Gevatter Tod.
    Wir wollten doch nur einmal in den Urlaub fahren!
    Ein Kleinlaster raste auf uns zu. Schlief der Fahrer? Sein Gesicht rund, rosige Wangen, er redete – mit sich selbst? – und lächelte. Das Lächeln eines Kindes. Unschuldig. Ich schrie: »Stopp!« Niemand
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