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Im Dutzend vielfältiger

Im Dutzend vielfältiger

Titel: Im Dutzend vielfältiger
Autoren: Nicole Rensmann
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unterscheiden sollten. Doch Stiller bediente sich da einer sehr simplen Technik. Außerdem ging es damals um Kaninchen.
    Stiller zog ein Messer aus seiner Aktentasche. » I ch beweise Ihnen seine Echtheit.« Er zog dem Unbekannten den Ärmel des schwarzen Pullovers hoch und ritzte mit dem Messer in die Haut. Der Mann verzog keine Miene, nur das rechte Auge zuckte und sein Mund öffnete sich kurz, als wollte er einen Schmerzton daraus entlassen. Blut tropfte aus der Wunde.
    » Spinnt der?«, fragte ich Mike. Wir waren in den drei Monaten gute Freunde geworden. Doch seine augenscheinliche Faszination konnte ich nicht nachvollziehen. » Er ist der Prof. Ist eh nur ein billiger Anschauungstrick.«
    »E rinnern Sie sich noch an unsere letzten Stunden? Wir sprachen über Mord. Sie sollen«, Stiller riss den Kopf des Mannes an dessen Haaren in den Nacken, » diesen Mann töten.«
    Er sah jeden einzelnen von uns an, betrachtete unsere Reaktion. Nun waren wir sein Studienprojekt.
    Keiner regte sich.
    »Nur zu, erschießen sie ihn. Er ist die Ausgeburt des Bösen, er mordet, wenn er nicht hinter Gittern ist. Er ist gefühllos und ein Schwein.«
    Wir antworteten nicht, doch die Luft schien sich aufzuladen. Ich bekam eine Gänsehaut.
    »Er hat eine schwangere Frau ermordet. Nur aus Spaß.«
    Mike, neben mir, spannte die Muskeln an, die Knöchel seiner rechten Hand, mit der er die Waffe festhielt, zeichneten sich weiß ab.
    Stiller lachte. »Sehr schön. Dieser Mann ist wehrlos. Sie wissen nicht, ob er tatsächlich so böse ist, wie ich es Ihnen sage. Sehr gut. Sie erschießen ihn nicht. «
    Er ließ den Mann los und nickte ihm zu. Der Verurteilte griff in seine Tasche und hielt anschließend eine große Küchenschabe in der Hand. Ich hoffte, dass er diese nicht in der Kantine gefunden hatte.
    Stiller rief: »Tötet den Mann!« Leise fügte er hinzu: »Oder er tötet in 30 Sekunden die Schabe! «
    Wir reagierten nicht.
    30 Sekunden vergingen. Einige Kollegen stöhnten vor Ekel auf, als der Mann die Aussage umsetzte und den Panzer der Schabe mit einer Hand zerquetschte. Andere schienen unberührt. Ich ekelte mich, konnte aber meine Empfindung gut verstecken.
    Stiller musterte uns wieder. »Gut!«, sagte er knapp und nickte dem Schabenmörder erneut zu. Dieses stille Abkommen zwischen dem vermeintlichen Mörder vierer Menschen und unserem Professor erschien mir absurd.
    Der Mann entfernte sich, verschwand hinter der Tür, aus der er zuvor gekommen war, und kehrte nur kurze Zeit später zurück. Er hielt eine Taube in der Hand.
    Wieder forderte uns Stiller auf, den Mann zu töten oder den Tod der Taube zu akzeptieren. Wir töteten nicht, wir ließen töten. 30 Sekunden. Und der Mann drehte der Taube den Hals um. Er legte den Leichnam auf das Pult, auf dem sich sonst Bücher und Manuskripte stapelten. Behutsam, beinahe zärtlich rückte er Kopf und Flügel der Taube zurecht.
    Gleiches Spiel. Stiller nickte, der Mann verschwand, und kam zurück. Er trug einen Welpen im Arm. Einen Golden Retriever, höchstens acht Wochen alt. Er jaulte verängstigt.
    »Sie kennen das ja schon. 30 Sekunden.«
    Hinter mir schnappte jemand nach Luft. Mein Herz klopfte schneller. Stiller reizte uns, er wollte uns nur auf die Probe stellen. Der Typ, Mörder oder nicht, verurteilt oder nicht, auf jeden Fall Teil dieses Experiments würde den Hund nicht töten.
    »Noch 10 Sekunden. Wollen Sie ihn nicht erschießen? Er wird dieses süße Hundebaby töten. Das lassen Sie zu?«
    Wir reagierten nicht. Paralysiert und von der Faszination entsetzt, in der Obhut unseres Professors und der Gewissheit, dass alles wohl so sein musste, sagten wir nichts, bewegten wir uns nicht, ließen wir uns nur treiben. Wir Feiglinge.
    Ich schämte mich, doch ich unternahm nichts, ich verließ auch nicht den Raum, als der schwarzgekleidete Mann dem Jaulen des Welpen ein Ende bereitete.
    Die Atmosphäre im Raum, eben noch spannungsgeladen, schien kurz vor der Explosion. Doch wir warteten ab. Wieder bettete der Mann den Welpen liebevoll auf das Pult, direkt neben der Taube. Er tötete gern. Er mochte den Anblick der Toten. Ein Verrückter. Verrückter als Stiller? Ich glaubte nicht.
    »Nun, meine Damen, meine Herren. Sie überraschen mich. Warten wir ab, wie Sie nun reagieren werden.« Er nickte, der Mann reagierte. Das Spiel begann von vorne, der Einsatz würde höher sein müssen.
    Diesmal brauchte der Mann einige Minuten, bis er zurückkehrte. Warum haute der Typ nicht ab, wenn er
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