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Im Dutzend vielfältiger

Im Dutzend vielfältiger

Titel: Im Dutzend vielfältiger
Autoren: Nicole Rensmann
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drehte den Dolch um, den mir einst die Comtesse du Barry ins Herz gestoßen hatte. Marguerite wandte sich von mir ab, als ich sie um Geld bat.
    Freunde? Ich fand sie nicht mehr.
     
    Aus Verzweiflung übernahm ich die Verwaltung im Louvre und bezog dort eine Wohnung, gemeinsam mit meiner Frau. Bilder wünschte niemand mehr von mir. Ich verlor meine Familie – meine Schwägerin, meinen Sohn, meine Auftraggeber. Es war nicht der Tod, der sie mir nahm, sondern mein Verhalten. Hätte ich noch Geld und mein Ansehen gehabt, wäre ich mit der Sonne gegangen, dann … ja dann gäbe es meine Kupferstiche noch, mein Sohn hätte mir meine Strenge verziehen und Marguerite – meine Schöne – wäre mir weiterhin zugetan. Aber es gelang mir nur, mich und Marie-Anne, die mir stets die Treue gehalten hatte, zu ernähren. So lebten wir und trauerten dem vergangenen Ruhm und den Reichtümern nach.
    Ich wurde zu einem verbitterten Künstler, für den sich niemand mehr interessierte. 1800 legte ich aus gesundheitlichen Gründen all meine Ämter nieder, durfte jedoch weiter im Louvre leben, bis mich 1805 Napoleon mit einer kleinen Rente der Wohnung verwies. Ich hatte ausgedient. Meine Bilder, meine gesellschaftliche Stellung, mein Wort – nutzlos.
     

     
     
    Mein Name ist Jean-Honoré Fragonard. Ich starb in Armut am 22. August 1806 in Paris mit der Erkenntnis, dass ich Zufriedenheit nie empfunden hatte – bis zu dem Moment, als mein letzter Atemzug aus meiner Lunge entwich.
     
     
    (Anmerkung: Bei den kursiv geschriebenen Wörtern handelt es sich um die Originaltitel der von Fragonard gemalten Bilder. )

Ein Experiment
    (2002)
     
    Wir trafen uns im Lesesaal – der Arena, wie wir scherzhaft sagten. Professor Dr. Stiller, der Psychologielehrer, hatte uns dorthin bestellt. Ein Experiment, hatte er gesagt, es handele sich nur um ein kleines Experiment.
     
    Wir ließen uns für eine Sondereinheit der Polizei ausbilden und absolvierten ein dreimonatiges psychologisches Training. Wir hatten in diesen drei Monaten keinerlei Kontakt nach außen. In zwei Wochen sollten wir das Intensivstudium beenden und durften nach Hause zurückkehren. Ich war froh darüber. Wir hatten viel gelernt und eine Menge Spaß gehabt, aber ich vermisste Anny, meine Frau und Ella, meine Tochter. Ich hatte einmal einen Brief rausschmuggeln können und hoffte, dass er bei ihnen angekommen war. Sie sollten wissen, wie sehr ich sie liebte.
    Nur noch zwei Wochen. Ich begrüßte jede Abwechslung, mochte sie noch so seltsam sein. Und Stillers Experimente sorgten stets für Diskussionen oder Lacher.
    Wir saßen auf den in Kaskaden aufgereihten Bänken und warteten.
     
    Wie üblich ließ er auf sich warten. Er brauchte seinen Auftritt, der Professor. Mit einer halben Stunde Verspätung schritt er wie ein Zirkusdirektor – er trug einen Zylinder – in die Arena. Er zog eine Sackkarre hinter sich her, in der kleine, braune, ausgebeulte Säcke lagen.
    » Wir wollen heute die Theorie in die Praxis umsetzen«, erklärte Stiller, » und wagen dafür ein Experiment, das uns eine Antwort auf unsere Fragen geben wird.«
    Wir tuschelten, sahen uns untereinander an, zuckten mit den Schultern. Was für Fragen meinte er?
    » Bitte kommen Sie zu mir und holen Sie sich eins dieser wundervollen Säckchen!«
     
    Ich zögerte. Wir alle zögerten. Doch dann folgten wir seiner Anweisung, gingen die Treppen hinunter, holten uns jeder einen Sack und kehrten auf unsere Plätze zurück. Der Sack selbst schien nicht das Besonderen zu sehen, vielmehr der Inhalt. Ich fühlte die Umrisse einer Pistole.
    »Sie haben es vermutlich schon selbst herausgefunden. Öffnen Sie bitte die Säcke und holen Sie die Schusswaffen heraus. Aber Vorsicht!« Er erhob seinen rechten Zeigefinger. »Die Waffen sind geladen.« Dann blickte er zur Eingangstür und nickte.
     
    Ein schwarzgekleideter Mann betrat die Arena. Von seinem rechten Auge bis hinunter zum Kinn verlief eine Narbe. Knapp zwei Meter und vollgepackt mit Muskeln, schien er einem amerikanischen Gangsterfilm entsprungen und sollte in diesem Experiment das Klischee des Bösen verkörpern.
    » Dies ist ein Verbrecher.«
    Einige meiner Kollegen kicherten. Stiller lächelte.
    » Er hat vier Menschen ermordet und erhielt dafür die Todesstrafe.« Hinter mir saß Robert, er rief: »Der blinzelt ja gar nicht. Das ist ein Roboter!« Am Anfang des Studiums hatte Stiller ein Experiment durchgeführt, in denen wir zwischen Robotern und realen Wesen
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