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Im Café der moeglichen Traeume

Im Café der moeglichen Traeume

Titel: Im Café der moeglichen Traeume
Autoren: Paola Calvetti
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Wenn man es recht bedenkt, hätte ich den letzten Zipfel eines Privilegs nutzen können, indem ich diverse Ausdrucke davon gemacht und aus dem Papierschrank entsprechend viele Luxusmappen aus farbigem Plastik entwendet hätte. Jetzt habe ich nur einen einzigen Ausdruck, der schon etwas gelitten hat, und da ich auch noch draufheulen musste, kann ich ihn sowieso wegschmeißen. Wiederbelebt von der heißen Schokolade betrachte ich die Landkarte meiner Pilgerschaft, ein absteigender Pfad von Praktikum zu Praktikum, von der Assistentin der Assistentin zur Assistentin, Junior, Senior und das war’s. Das ist mein Lebenslauf.
    Mein CV .
    CV wie in »chronische Verschwendung« … von Papier nämlich, das man sich in diesen Zeiten glatt sparen könnte.
    Ich halte ihn wie eine Reliquie in den Fingern: »Sie wissen wohl nicht, mit wem Sie es zu tun haben«, … aber ehrlich gesagt, ich weiß es auch nicht mehr. Dieses Blatt wird meinem schwachen Selbstwertgefühl wohl kaum auf die Sprünge helfen. Überfliegt man den Lebenslauf mit einem kritischen Blick, ist er nichts als eine unvollständige Röntgenaufnahme, die alles Wichtige ausspart: die Begegnungen, die mich geprägt haben, die wahren Lieben und jene, von denen ich dachte, sie seien es, die Personen, die mir fehlen, jene, die mir nicht mehr fehlen, die Freunde, die unzähligen Unsensiblen, von denen ich lange nicht wusste, dass sie kein Herz haben, die Personen, die ich liebe und nicht rechtzeitig in den Arm genommen habe.
    Die Toten.
    Die sich, wenn man mich fragt, nur physisch von uns entfernt haben.
    Im Curriculum Vitae ist kein Platz für Leidenschaften, Träume, Niederlagen.
    Für die Kraft der Wünsche.
    Dort stehen Name, Vorname, Adresse, Telefonnummer, E-Mail-Adresse, Geburtsdatum und Geburtsort, Schulabschlüsse, Universitätsabschlüsse, mündliche und schriftliche Fremdsprachenkenntnisse, Praktika, Arbeitsverhältnisse, Veröffentlichungen, Referenzen, Anzahl der Schreibtische, an denen du deine Fähigkeiten unter Beweis gestellt hast. Die ganz Vermessenen fügen Hobbys und Leidenschaften hinzu, ohne sich darüber im Klaren zu sein, dass sie damit in eine Falle tappen. Du liebst Theater, Kino, Musik? Die kleinen Gehirne der Personalchefs befürchten sofort, dass du morgens nicht ausgeschlafen bist. Du gestehst, dass du gerne reist? Dann freust du dich immer nur aufs Wochenende, und am Montag meldest du dich krank. Wenn du deine Liebe zur Literatur erwähnst, erregst du Misstrauen. Wenn du deine Internetkenntnisse hervorhebst, surfst du zu viel. Du spielst Golf? Was für ein Snob. Du arbeitest ehrenamtlich in der Altenbetreuung? Du hast die Konflikte mit deinen Eltern nicht bewältigt. Du arbeitest in der Kinderbetreuung? Du bist ein Opfer deines Kinderwunsches. Auch zum Liebesleben sollte man besser schweigen. Bist du Single, suchst du im Büro einen Ehemann. Bist du verheiratet, könntest du schwanger werden. Mit dreißig schon Witwe? Du bist frenetisch auf der Suche nach einem Ersatz für deinen Mann, der bei einem Autounfall vorzeitig draufgegangen ist. So jung und schon geschieden? Hm, ein wankelmütiges Geschöpf.
    Dieses Blatt Papier soll das Human Resource Management davon überzeugen, dass du gegenwärtig und zukünftig für das Unternehmen unverzichtbar bist. An deiner zeitlichen Verfügbarkeit darf kein Zweifel aufkommen und auch nicht an deiner Bereitschaft, unzählige Überstunden zu leisten, widerspruchslos am Wochenende zu arbeiten und selbstverständlich nie Ärger zu machen.
    Daher habe ich nur das absolut Notwendigste geschrieben.
    Die Kindheit fehlt, eine der intensivsten Phasen meines Lebens, in der meine Großmutter mir beibrachte, das Glück zu suchen.
    CURRICULUM VITAE
Geburtsgewicht:
2,543 kg
Geburtsort:
Ospedale Alma Mater
Blutgruppe:
A rh positiv
Geburtsgröße:
48 cm
(also) Typ:
ganz normales Baby
    Schon diesem Dokument kann man entnehmen, dass ich keine große Schönheit werden würde. Über mich sagte man eher, ich sei »zierlich«. Für mich war das immer ein abwertendes Adjektiv, in dem mitschwingt, dass man zwar nicht hässlich ist, für sein Fortkommen aber auch nicht gerade auf sein Äußeres setzen sollte. Nicht einmal fotogen war ich, und so bin ich mit dem Wissen um meine unterdurchschnittliche Anziehungskraft aufgewachsen und war der festen Überzeugung, dass ich mit den Zöpfen
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