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Im Café der moeglichen Traeume

Im Café der moeglichen Traeume

Titel: Im Café der moeglichen Traeume
Autoren: Paola Calvetti
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Alphabet, konnte mit fünf schreiben und langweilte mich mit sechs in der Schule.
    Obwohl ihr Mann mit vierzig in einem »dummen Verkehrsunfall« starb, über den sie sich trotz penetranter Nachfragen in Schweigen hüllte, als steckte irgendetwas Unaussprechliches dahinter, konnte sich meine Großmutter nie dazu durchringen, zu uns zu ziehen. Nach diversen Versuchen mit Au-pair-Mädchen, von denen aber keines länger als zwei Wochen blieb, übernahm sie schließlich die Betreuung meines schulischen Werdegangs. Punkt sieben kam sie bei uns vorbei, um mich zur Schule zu bringen, und nahm mich nachmittags mit zu sich nach Hause, bis einer meiner vielbeschäftigten Eltern mich irgendwann abholen kam. Wir verbrachten viel Zeit damit, Dinge zu tun, die mein Vater »verrücktes Zeug« nannte, die für uns aber vollkommen normal, sinnvoll und auch vergnüglich waren. In manchen Angelegenheiten wie Schule, Respekt vor der Natur, Verlässlichkeit in der Freundschaft, Zähneputzen nach jedem Essen einschließlich der Zwischenmahlzeiten war sie unnachgiebig, aber sonst war sie ein Freigeist. Ihre Andeutungen über ihre geheimnisvolle musikalische Vergangenheit, die im Schlafzimmer unter einer blauen Hülle begraben lag, klangen immer etwas sentimental. Die große Harfe, diese Unberührbare, die später in meinen Besitz übergegangen ist, war kein Instrument mehr, sondern ein Totem, und zwar besonders, wenn alles falschlief, während man um sich herum nur glückliche Menschen sah. Wie die Kunden unter mir, die ein großes Theater veranstalten, während sie Schlange stehen, um Zigaretten zu kaufen oder ihre Lottoscheine auszufüllen. Letzteres sollte ich auch mal versuchen. Wenn ich etwas gewinne, kann ich wenigstens die erste Not lindern.
    Meine Großmutter hat mit ihren Freundinnen Scala 40 gespielt. Sie war eine starke Persönlichkeit und daher für jene, die sie für exzentrisch hielten, unbequem und anstrengend. Das waren aber ohnehin dumme Leute, die nie in den Genuss kamen, von ihr einen Brief zu erhalten. Außer ihren eigenen Briefen schrieb sie auch noch unzählige für ihre Freudinnen, ihre Nachbarinnen, die Verkäufer in ihrem Viertel und all jene, die meine Großmutter, seit ihr Talent sich herumgesprochen hatte, darum baten. Sie schrieb Liebesbriefe, Geschäftsbriefe, Hilfsgesuche, Flehbriefe, Beileidsbekundungen oder Glückwunschkarten. Ihre Spezialität waren allerdings Protestbriefe, in denen sie das Kunststück vollbrachte, den Adressaten nicht zu beschimpfen, sondern kraft ihrer Begabung fürs Enigmatische zu umschmeicheln.
    Bevor sie ihren Auftraggebern die Werke in eleganten elfenbeinfarbenen Umschlägen überreichte, las sie mir das Ganze vor. Ein Heidenspaß.
    Meine Großmutter, einhundertfünfundsechzig Zentimeter Ironie und Sanftheit, hat Mamas Revolution nie gutheißen können, weil sie ihren Ehemann in den Krieg hat ziehen sehen, »den wirklichen Krieg«, aber mir hat sie sechs Jahre und elf Monate Abenteuer geschenkt und außerdem meine erste Polaroidkamera.
    Anlässlich meines fünften Geburtstages hatte sie bestätigt, was ich seit Monaten schon ahnte, dass nämlich der Weihnachtsmann eine Erfindung war. Um mich zu trösten, drückte sie mir ein Päckchen mit meinem ersten Modell, einer Polaroid 600, in die Hand. Auf die Karte, die ich heute noch in meinem Portemonnaie aufbewahre, hatte sie geschrieben: »Die Polaroid ist der Moment, den du auserwählst. Die Aufnahme bleibt ein Geheimnis, bis sie getrocknet ist, und verleiht deinen schönsten, intimsten und glücklichsten Augenblicken Unsterblichkeit. Sie bewahrt die Objekte und Personen, die du liebst oder die dich einfach nur neugierig machen. Deine Großmutter.«
    Ah, diese Fotos!
    Mit einem Rauschen rutschen sie aus dem Schlitz, dann muss man nur noch vorsichtig mit ihnen herumwedeln und darauf warten, dass die Farben Form annehmen.
    Ich bin drauf und dran, die Kamera aus dem Karton zu holen. Diese Bar ist ein wunderbares Ambiente, aber ich bin mir sicher, dass mich meine Nachbarinnen, würde ich jetzt ein Foto von ihnen machen, für ein Fossil halten würden. Gegen die praktischen Vorteile einer Digitalkamera lässt sich eben kaum etwas sagen.
    Ich hole sie trotzdem heraus und warte auf einen weniger riskanten Moment.
    Das Motto meiner Großmutter lautete: »Denk jeden Tag einen positiven Gedanken, und
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