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Im Café der moeglichen Traeume

Im Café der moeglichen Traeume

Titel: Im Café der moeglichen Traeume
Autoren: Paola Calvetti
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und meinen Augen, die weder braun noch grün, sondern irgendetwas dazwischen sind, immer der Typ »Na ja« bleiben würde. Tatsächlich hege ich bei dem Wort »zierlich« noch heute den Verdacht, dass es ein heuchlerisches Synonym für etwas Schreckliches ist.
    Die einzige Person, die mich für das schönste Kind im gesamten Block hielt, war meine Großmutter, die sich heute – vielleicht wegen des Schnees – verflüchtigt zu haben scheint. Es ist gar nicht ihre Art, mich ohne ein einziges Wort in einer Bar mir selbst zu überlassen. Andererseits erweist sich diese Empore als perfekter Beobachtungsposten für jemanden, der vor ein paar Stunden noch für Kommunikationsprozesse verantwortlich zeichnete.
    Olivia, zehn Minuten mit der Chefin des Human Resource Management und ihrem Intelligenz-Effizienz-Gehabe, und schon bist du reif für die Psychiatrie?
    Ich habe melodramatische Neigungen, das stimmt schon, aber sagen Sie doch selbst: Wer hat schon Interesse an einer zierlichen Dreiunddreißigjährigen aus der Risikogruppe der Verliebungs-, Verlobungs- und Kinderwunschgefährdeten, einer Person zumal, der Tränen der Rührung in die Augen schießen, wenn bei der Olympiade die Nationalhymnen gespielt und die jeweiligen Landesflaggen aufgezogen werden?
    Ich falte den CV wieder zusammen. Es ist lehrreicher, meinen postpubertären Nachbarinnen zuzuhören, die trotz Ferien und prall gefüllter Einkaufstaschen nicht wirklich mehr Begeisterung ausstrahlen als ich.
    Â»Hoffentlich gefallen meiner Schwester die Ohrringe.«
    Â»Was für ein heißes Teil, dieses Sweatshirt mit der Aufschrift ›Küss mich, bevor mein Freund zurückkommt‹.«
    Â»Wann kannst du dich zu Hause verdrücken? Donnerstagabend ist die Party bei Ali.«
    Â»Ich hab echt keinen Bock mehr, mit Lollo zu reden. Er hat schon wieder angerufen, aber ich weiß echt nicht, was ich überhaupt sagen soll.«
    Letztlich geht es immer nur darum: die Liebe oder etwas, von dem wir denken, dass es ihr ähnelt. Für gewöhnlich ein Labyrinth von Irrungen und Wirrungen, denke ich, während die Verliebte nun ihren Tee auf der altrosa Decke verschüttet. Wenn es schon eine Krise auslöst, nur diesen Namen zu nennen, der eher zu einem Dackel als zu einem faszinierenden Teenager passt, muss es wirklich schlimm sein. Würde ich jetzt sagen: »Ich kann dich gut verstehen«, würde sie mir nicht glauben. Für sie bin ich eine Alte.
    Eine zierliche Alte. Die Wogen der Unsicherheit wallen auf, heiß wie eine Tasse Tee.
    Großmütterchen, wo bist du nur? Großmütterchen, ich meine zu hören, wie du sagst: »Die Worte müssen wie Tropfen fallen, liebe Olivia. Man darf sie nie auf den Teller sabbern.« Lass wenigstens du mich nicht im Stich, Großmutter.
    Auch sie hat jeden Nachmittag um fünf Tee getrunken, Mädels, als wäre sie eine Lady.
    Sie, die mich im Gegensatz zu meinen Eltern alles lesen ließ, was ich wollte, selbst die Wälzer mit den Bildern von den gevierteilten Menschen, deklamierte Todesanzeigen, als wären es Sonette, und war verrückt nach Kreuzworträtseln. Die haben wir zusammen gelöst, bewaffnet mit einem Lexikon und dem Wörterbuch der Synonyme. »Worte vertreiben schlimme Gedanken«, zwitscherte sie wie ein unmusikalisches Vögelchen, und obwohl mir die Bedeutung der meisten Vokabeln, mit denen sie die Gitter füllte, nicht geläufig war und ich ständig Horizontale und Vertikale verwechselte, verdankt sich meine Leidenschaft für Wörter mit Sicherheit diesen langen Nachmittagen, die wir an ihrem Küchentisch oder auf ihrem Blümchensofa im Wohnzimmer verbrachten.
    Ich hoffe, dass meine beiden Jugendlichen wenigstens eine Oma pro Kopf haben. Natürlich werden sie niemals wie die meine sein, die Sachen sagte wie: »Ich will auf keinen Fall eine Todesanzeige, das habe ich auch deiner Mutter gesagt. Wenn es so weit ist, pass bitte auf, dass sie nicht ihr Geld dafür verschwenden, vollkommen unbekannten Menschen mitzuteilen, wie sehr ich euch fehle.« Damals habe ich Sinn und Zweck der auf der letzten Zeitungsseite abgedruckten Kästen nicht wirklich verstanden, aber als meine Großmutter dann starb, habe ich ihren Wunsch durchgesetzt, obwohl meine Mutter der Meinung war, dass Kinder da nichts mitzureden haben. Dank der Kreuzworträtsel und der Todesanzeigen kannte ich mit vier das
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